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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Lowis in der Schweiz kennengelernt hatte. Die Abendsonne auf der unbeschreiblich kargen Hochebene der Hopi. Weite, unendliche Ausblicke, unterbrochen von Höhenzügen aus Sandstein, und in der Ferne der Kachina Peak oder die San Francisco Mountains: Später begriffen wir, daß zwei Heilige verschiedener Religionen sich diesen Berg streitig machen. Die Kachinas sind die götterähnlichen Wesen der Hopi-Clans, die im Januar oder Februar von ihrem Berg ins Hopi-Land heruntersteigen und einige Monate unter den Menschen leben.
    In Hotevilla fragten wir den ersten Mann, den wir trafen, nach James Koots, er sagte, der Sohn von James, Denis, sei gerade da. Der kam dann tatsächlich mit ein paar Einkaufstüten aus dem shop, von hinten hielten wir ihn für eine Frau, ein langer offener Zopf fiel ihm über den Rücken. Als er erfahren hatte, wen wir suchten, setzte er sich umstandslos neben Lowis ins Auto und lotste uns eine rough road entlang an den Rand des Dorfes. Vor einer Art aufgebocktem Eisenbahnwagen ließ er uns halten, verschwand darin und erschien gleich wieder, um uns hereinzuwinken. Wir hatten gehört, daß man ein paar Eßwaren als Gastgeschenk zu den Hopi mitbringt, hatten also eine Nußtorte und Früchte dabei.
    Als wir ins Innere des Wagens traten, schlug uns Wärme und ein unangenehmer Geruch entgegen. Drinnen stand der alte Mann, er hatte gelegen, zog sich noch seine Jacke zurecht. Er sei gerade von der Arbeit gekommen. Er streckte uns seine feine, dünne schwarze Hand entgegen. Dies war also James Koots. In dem Dämmerlicht des Wagens sah ich, er war dunkelhäutig,hatte ein altes schönes Indianergesicht, sein eines Auge war mit einem Häutchen überzogen. Es dauerte eine Weile, bis er verstand, wann und wo er Lowis getroffen hatte, dann begann er sich zu erinnern und taute auf. Ach, Lowis lebe doch auf einem mountain, und sie seien doch mit seinem truck gefahren.
    Denis, der uns jetzt erst seinen Namen nannte – er hatte den Anflug eines Bärtchens, schmale Augen, ein eher verschlossenes Gesicht –, fragte uns, ob wir Kaffee wollten. Wir gaben die üblichen europäischen Floskeln von uns, zierten uns, aber Denis sagte, es sei okay.
    Bedrückende Armut, so könnte man die Lebensumstände der Hopi-Indianer beschreiben. Man durfte in ihrem Gebiet unter keinen Umständen fotografieren, wir hatten unsere Kameras, um nicht etwa durch unsere Reflexe verführt zu werden, in den Kofferraum gelegt und bemühten uns, unsere Augen wie Fotolinsen zu gebrauchen. Um die Behausungen herum, die wir als Behelfshütten bezeichnen würden, sammelte sich der Unrat vieler Jahre an: Von verrosteten Autowracks bis zu Bergen leerer Büchsen und den Abfällen der letzten Tage.
    Denis führte uns zu einem Nebenhaus. Es war aus dunklen großen Steinen erbaut, Fenster- und Türrahmen waren von überallher zusammengesucht, sie schlossen nicht dicht, die Tür zur Küche sprang andauernd auf, mir war es unvorstellbar, wie die Bewohner ein solches Haus in den strengen Wintern auf der Mesa warm kriegen sollten. Dabei gehörte es noch zu den solideren Gebäuden ringsum.
    Die Küche war ein großer quadratischer Raum. In der Mitte stand ein ovaler, mit Wachstuch bedeckter Tisch, drum herum Holzstühle, ein Sofa mit kaputten Lederpolstern, an der gegenüberliegenden Wand ein Holzsessel mit Kissen für James. Denis schenkte aus einem Aluminiumgefäß auf dem Herd ein bräunliches Getränk, das er Kaffee nannte, in Becher ein. James ließ sich in seinem Sessel nieder. Eine junge dickliche Frau kam herein, mit einem vierjährigen Mädchen. Sie setzten sich auf das Ledersofa. Die Frau war die Schwester von Denis,erfuhren wir, es war ihre Küche, in der wir saßen. Wir schäkerten mit dem Kind, das reizend war wie alle Indianerkinder und auf unsere Spiele einging. Seit kurzem lernten die Kinder in der Grundschule Englisch und Hopi-Sprache, hörten wir. Es gebe Hopi-Lehrer. Aber die Hopi hätten keine Schrift. Sie lehnten das geschriebene Wort ab und bauten nur auf die mündliche Überlieferung, die bis in Urzeiten zurückreiche.
    Denis war ein einsilbiger junger Mann. Dreißig Jahre alt, wie er uns später erzählte, und er sei in Los Angeles zur Highschool gegangen, damals, als es im Hopi-Land noch keine Highschool gab. Aber er sei sehr gerne wieder zurückgekommen, das Leben hier sei nice, er liebe dieses Land.
    Ich unterhielt mich mit seiner Schwester. Als ich sie fragte, wem bei den Hopi die Felder gehörten, sagte sie: Den Männern, und

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