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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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waren.
    Wir blickten einen Abhang hinab auf die Folgen des Krieges. Auf Tausenden von Metern lagen sterbliche Überreste. Ich war so entsetzt, dass ich nur noch sehr schwer durch meinen Äoli atmen konnte. Aus dieser Entfernung waren die genauen Einzelheiten des Gemetzels schwierig zu ermessen. Ich versuchte, die Terre und die Absurden gegeneinander abzuschätzen, doch die Toten waren viel zu sehr ineinander verknäuelt. Jedenfalls mussten viele der ariekenischen Leichname EzCals Streitkräften angehören, ebenso wie die Menschen, bei denen sie lagen.
    Wir führten unseren Nicht-ganz-Gefangenen herbei. Das betreffende Gerät steckte in seiner Halskette, doch wir hatten ihm schon seit etlichen Kilometern keine Elektroschocks mehr verpasst.
    Spanischer Tänzer trommelte mit seinen Hufen. Er sah mich an und öffnete seine Münder. Er wies auf die Zerstörung. Er öffnete und schloss seine Münder und sagte zu mir: » zuspät  |  zuspät .«
    »Ja.«
    » zuspät  |  zuspät .«
    »Ja. Zu spät.« Das hatten wir ihm nicht beigebracht.
    » zuspät  |  zuspät .«
    Da war ein sich lang hinziehendes, unangenehmes Zerren an meinen Sinnen, wie bei einem künstlichen Alarmzustand unter Drogeneinfluss, als ob die Dinge, die ich sah oder hörte, Ablagerungen hinterließen, wenn ich mich von ihnen abwandte. In einer seltenen Erinnerung an ihr bio-fabriziertes Dasein veränderte sich meine Äoli-Maske, der beim Geruch der Toten unbehaglich wurde. Überall lagen aufgeplatzte Männer und Frauen. Es gab tote Ariekei mit und ohne Fächerflügel, die zusammen verstreut herumlagen. Innereien traten an entgegengesetzten Enden des Platzes heraus, sie waren miteinander vermischt in zusammengesetzter Fäulnis. Es gab Leichenfeuer und Abfall.
    Wracks. Der Kriegsschauplatz war eingekerbt von Holzkohlelinien, die in Kratern gipfelten, wo Flieger heruntergekommen waren. Bren ging durch Gerümpel, die Hände hatte er sich mit Stofffetzen umwickelt. Ich machte es ihm nach. Es war nicht ganz so hart, wie ich erwartet hatte.
    Das alles war vielleicht zwei Tage zuvor passiert. Diese Szenen machten mich vorsichtig und gleichgültig. Ich schaute nicht zu genau auf die Gesichter der Botschaftsstädter Toten. Ich war nur allzu überzeugt davon, dass ich jemanden sehen würde, den ich kannte. Während ich mir einen Weg durch die Überreste zwischen den Rauchsäulen suchte, versuchte ich die Geschichte jenes Kampfes in Erfahrung zu bringen. Es gab viel mehr Tote aus Botschafts- und Gastgeberstadt als von den Absurden. Verwesende Kämpfer befanden sich dort, die mitten in der Bewegung erstarrt waren; die Hände, Präsentflügel und Waffen lagen immer noch aufeinander. Wir deuteten diese Leichendioramen, um die Geschichten zu erfahren, wie es zu ihnen gekommen war.
    »Sie haben Rabenvögel«, stellte ich fest. Die Absurden, die Strategien entwickelten, ohne zu reden, steuerten bio-fabrizierte Waffen. »Jesus!«, rief ich aus. »Jesus, es ist eine Armee . Ich meine, es ist eine richtige Armee.«
    Nur furchtbar wenige Kämpfer waren am Leben geblieben. Ein paar tödlich verwundete Ariekei strampelten mit den Beinen in der Luft und reckten ihre Augen. Einer schrie in Sprache und sagte uns, dass er verwundet sei. Spanischer Tänzer berührte seinen Präsentflügel. Während die Todgeweihten der Absurden starben, waren sie zu sehr auf etwas anderes konzentriert, um uns zu bemerken. An einigen sah ich das Blut von frisch herausgeschnittenen Fächerflügeln: Selbst unter den Sterbenden gab es neue Rekruten für diese Streitmacht.
    Eingeklemmt unter ariekenischen Toten lag eine Frau, die gerade noch am Leben war. Ihr zerbrochener Äoli keuchte Sauerstoff in sie hinein. Sie schaute Bren und mich an, während wir versuchten, sie zu beruhigen und zu fragen: »Was ist hier passiert?« Doch sie blickte nur starr und konnte nicht reden, weil sie zu entsetzt war oder unter Luftmangel litt. Schließlich legten wir sie wieder auf den Boden und gaben ihr Wasser. Wir konnten sie nicht fortbewegen, und ihr Äoli lag im Sterben. Wir fanden zwei andere, die noch am Leben waren: einen Mann, der nicht aufgeweckt werden konnte, und einen weiteren, dem nur das Bewusstsein seines bevorstehenden Todes geblieben war. Alles, was wir aus ihm herausbekamen, war, dass die Absurden gekommen waren.
    Bren zeigte auf zerrissene Uniformen. »Das sind Spezialisten.« Er wies auf Rinnen, die vom Schlachtfeld fortführten. »Diese da waren nicht … Sie waren Vorreiter, eine Schutztruppe, die

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