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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Herrscher.«
    »Aber wie nahe bin ich ihm! Der Anschlag, der ihn trifft, kann auch mich verderben. Doch abgesehen davon – er selbst ist eine ständige Gefahr für mich. Seine Gunst wechselt, und schon trifft mich sein ungnädiger Fuß, der mich von den Stufen seines Thrones stößt. Nein, nein, ich lecke nicht den Speichel eines Mächtigen, ich küsse nicht seine Schuhe!«
    Chartier holte tief Atem.
    »Ich«, schloß er, »ich dichte!«
    Und als ihm eine Antwort versagt blieb, da ihn der alte Mann nur stumm ansah, setzte er hinzu: »Inmitten des Volkes, unter dem ich bleibe, dichte ich!«
    Doch seherischen Blickes sagte nun der rätselhafte alte Mann: »Ihr werdet erfahren, was Ihr tun werdet.«
    Dann erhob er sich auch schon und schritt nach einem leichten Kopfnicken davon. Rasch war er hinter der grünen Mauer, eine Taxushecke, um die der Weg herumlief, verschwunden.
    Ein leichter Wind kräuselte die Wellen des runden Sees und erweckte die wispernden Zweige der Büsche und Bäume zum Leben. Eine Familie weißer Schwäne zog, abgesondert von den schwarzen, durch das blinkende Wasser, und drüben, am jenseitigen Ufer, küßte sich ein Liebespaar zwischen blühenden Sträuchern. Eine kleine Ameisenkolonne bewegte sich als schwärzlich-rotes Band über den hellen Sand des Weges und umging klug die Fußspuren der Menschen, die für sie wie breite, steilwandige Schluchten in einer weiten Ebene waren. Von fern, vielleicht von den Ufern der Seine Fleuve herüber ertönte der Glockenschlag einer Kirche durch die hitzeflimmernde Luft.
    Alain Chartier, den der alte Mann verlassen hatte, war sich unschlüssig, was er nun machen sollte. Auf der Bank hielt es ihn nicht mehr. Nachdem er sich erhoben hatte, lief er einige Schritte nach links, blieb wieder stehen. Er schüttelte den Kopf, durch den ihm eine Rechnung ging. Nicht seine Schulden beschäftigten ihn, sondern die Wochen und Monate, die er wohl noch zu leben hatte.
    Alain Chartier war ein kranker Mann, ein sehr kranker Mann. Der Tod steckte in seinem vom Hunger zermürbten Körper. Der genaue Standort war die Lunge. Die Kraft Chartiers reichte nicht mehr aus, seinem Leiden, das der Medicus ›Schwund‹ nannte, den nötigen Widerstand entgegenzusetzen. Der hohle Husten, der besonders die Nächte des Poeten zerhackte, die blutbespuckten Taschentücher ließen keinen Zweifel am absehbaren Ausgang des Ringens zwischen Leben und Tod.
    Zwei, höchstens drei Jahre gab sich der in dieser Hinsicht illusionslose Dichter selbst noch.
    Gedankenvoll setzte er sich nun doch noch einmal auf die Bank. Die letzten Worte des geheimnisvollen Greises fingen an, in ihm zu arbeiten:
    »Ihr werdet erfahren, was Ihr tun werdet.«
    Natürlich meinte der, dachte Chartier, daß ich seiner Empfehlung Folge leisten werde – aber ich denke nicht daran!
    Würde sich denn ein solcher ›Aufstieg‹ für kurze zwei oder drei Jahre überhaupt lohnen?
    Keinesfalls!
    Zwei, drei Jahre noch, dann wird man eines Morgens einen Sarg zur Grube tragen, einen mittelgroßen, gar nicht schweren Sarg, und René, der Studienkamerad in Paris, wird eine kleine Rede halten, bevor er als erster die Blumen auf den Deckel fallen lassen wird. Dann ist Schluß mit Alain Chartier, dann hat ihn die Welt begraben, endgültig, ewiglich begraben – ihn und sein Werk. Nur hie und da wird man bei unerwarteten Gelegenheiten noch einmal auf seinen Namen stoßen, ein Dichter unter Dichtern, ein vergessener, dem niemand ernsthaft nachtrauert, ein Schreiberling, Poet, eine Pariser Treibhauspflanze, einer jener Namenlosen in der Masse im Bannkreis des Montmartre und des Quartier Latin.
    Alain Chartier …
    Alain Chartier, habt ihr gesagt? Wer Alain Chartier war, wollt ihr wissen?
    Ach, fragt doch nicht, Freunde. Wer soll denn davon noch eine Ahnung haben? Höchstens die Enzyklopädisten. Normale Gebildete können euch aus dem Handgelenk nur Größere aufzählen, die an Frankreich formten.
    Aufstöhnend sank Chartier an die Lehne der Bank zurück und bedeckte mit beiden Händen die Augen, in die ihm Tränen stiegen. Den schmächtigen Körper schüttelte ein Schluchzen, aber es war mehr der gekränkte Stolz, der in ihm weinte, als das Bewußtsein seiner künstlerischen Ohnmacht.
    Zwei kurze Jahre noch, Alain Chartier, sagte er sich. Höchstens drei.
    Andererseits, wie lang konnten zwei Jahre sein? Fragt einen, der im Kerker sitzt. Oder eine, die ihren fernen Geliebten herbeisehnt.
    Zwei Jahre können eine Ewigkeit sein!
    Ist Caesar

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