Stadt der Lügen
Werbeabteilung bestens verlaufen sei; dann wandten sie sich anderen Themen zu. Dabei ging es auch um Agenten. Scott würde demnächst einen brauchen, und Greg brachte verschiedene Namen ins Gespräch. Irgendwann fiel der Name Ben Kanter.
»Ich habe schon oft von ihm gehört. Wahrscheinlich ist er inzwischen recht alt, aber er scheint eine Art Legende zu sein. Arbeitet er überhaupt noch?«
»Ben ist ein guter Freund von mir«, antwortete Greg. »Einer der besten Agenten der Stadt. Wenn es irgendetwas gibt, das Ben nicht weiß, dann ist es wirklich unwichtig.«
»Was halten Sie von ihm. Käme er infrage?«
Greg dachte einen Augenblick nach. Auf seinem Gesicht lag ein merkwürdiges Lächeln. »Warum eigentlich nicht?«, sagte er schließlich. »Du hast Recht, Ben kommt allmählich in die Jahre und ist nicht mehr so umtriebig wie früher. Und außerdem hast du schließlich eine Freundin.«
Scott starrte ihn verständnislos an. Gregs Lächeln wurde breiter.
»Tut mir Leid, vielleicht sollte man darüber keine Witze machen. Ben ist schwul.«
»Schwul?« Scott blieb der Mund offen.
»Nun schau doch nicht so schockiert. Schließlich arbeiten wir im Showbusiness – es gibt kaum eine liberalere Berufsgruppe. Oder hast du etwa religiöse Vorbehalte?«
»Nein … nein … das ist es nicht …«, stotterte Scott. »Ich dachte nur … na ja, er hat immer … Ich meine, er galt doch immer als Frauenheld.«
»Früher einmal. Ben war schon immer schwul, doch es gab nur wenige Leute, die es wussten. In der damaligen Zeit schadeten solche Vorlieben dem Geschäft.« Greg zuckte die Schultern. »Manche vertuschten es, andere hängten es an die große Glocke. Ben gehörte zur ersten Kategorie. Er zeigte sich bewusst mit hübschen Mädchen und die Kolumnisten witterten immer gleich eine neue Romanze. Als dann Aids aktuell wurde, fühlte er sich als Heuchler. Das hat er mir selbst gestanden. Er wollte sich nicht mehr verstecken. Also outete er sich und schloss sich einer Bewegung an, die mehr Rechte für Schwule fordert. Es kostete ihn viel Mut, aber er erntete uneingeschränkte Bewunderung. Und außerdem bekam er eine Menge neuer Klienten.«
Es tröstete Scott zu erfahren, dass es auch in Hollywood durchaus von Vorteil sein konnte, sich ehrlich zu verhalten, und er nahm sich vor, sein Leben in dieser Weise zu gestalten.
Am nächsten Tag würde er sich überlegen, wie er vorgehen wollte.
Ein paar Blocks vor der Wohnung seiner Mutter ließ er das Taxi anhalten. Ihm war plötzlich übel geworden, doch einige Minuten Laufen in der klaren Abendluft beruhigten seine Nerven und gaben ihm Zeit nachzudenken.
In ihrer Straße hielt er noch einmal inne und blickte aus einiger Entfernung hinauf zu dem erleuchteten Erkerfenster im zweiten Stock, hinter dem ihr Wohnzimmer lag. Wahrscheinlich saß sie jetzt dort ganz allein und las ein religiöses Traktat, dachte er. Sie ging selten aus und empfing niemals Besuch. Obwohl er sich nicht angemeldet hatte, wusste Scott genau, dass er sie zu Hause antreffen würde und sie sich völlig ungestört unterhalten konnten.
Weil er sie nicht unnötig aufregen wollte, benutzte er nicht seinen Schlüssel, sondern klingelte. Ihre Stimme meldete sich über die Gegensprechanlage. »Wer ist da?«
»Ich bin es.«
Sie antwortete nicht, aber Sekunden später hörte er den Schlüssel im Schloss.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du kommst?«
Im spärlich beleuchteten Flur sah er sie an und beugte sich hinunter, um sie auf die Wange zu küssen. Sie versteifte sich, wie immer in letzter Zeit, wenn es zwischen ihnen zu Körperkontakt kam. Sie hatte sich sehr verändert, seit sie die Identität Madeleine Carlyles angenommen hatte. Sie trug das Haar glatt und kurz geschnitten, genau wie Madeleine. Ihre Kleidung war braun oder grau und erinnerten vom hochgeschlossenen Kragen bis hin zu den flachen Schnürschuhen allenfalls an eine Kleinstadtlehrerin undefinierbaren Alters. Oder an Bette Davis im ersten Teil von Reise in die Vergangenheit. Realität oder Mythos? Wo lag der Unterschied?
»Ist etwas passiert?«
»Nein, Mom. Ich muss nur mit dir reden.«
Er folgte ihr durch das schmale Treppenhaus, das mit religiösen Bildern geschmückt war. Sie gaben ihm ein unangenehmes Gefühl, weil er ein solches Maß an Frömmigkeit für unausgewogen hielt. Es war einer der Punkte, die Scott in zunehmendem Maß Sorge bereiteten: Seine Mutter wurde immer unausgewogener.
Im weiß gestrichenen, mit hellgrünen
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