Stadt der Lügen
jemandem eine bittere Wahrheit mitteilen. »Die Leute sind noch nicht reif dafür. Und bis jetzt wissen nur du und ich die Wahrheit – und so wird es auch bleiben.«
»Soll das etwa bedeuten«, begann sie und drehte das zur Hälfte geleerte Glas in der Hand, »dass du mir den Triumph meines eigenen Sohnes vorenthalten willst? Darf ich nicht einmal zur Hochzeit kommen, falls eine stattfindet?«
Er kniete neben ihrem Sessel nieder, streckte die Hand aus und streichelte ihr Handgelenk, dessen blasse Haut weich und ein wenig schlaff war. Diese Mal zog sie sich nicht zurück.
»Ich liebe dich, Mom«, sagte er. »Bald werde ich das besitzen, wonach du dich gesehnt hast, und ich werde es für dich besitzen. Aus mir wird ein wirklich großer Star. Alles, was ich tue, tue ich für dich, Mom.«
Sie spürte, wie sie eine merkwürdige Wallung überkam. Zunächst hielt sie es für eine Gemütsbewegung, doch dann merkte sie, dass es etwas Körperliches war; eine Art Starre in ihren Gliedmaßen. Sie versuchte gar nicht erst, sich zu bewegen, weil sie es vermutlich nicht mehr konnte. Allerdings schaffte sie es, den Kopf leicht zu drehen und ihren Blick zu konzentrieren.
Scotts Saftglas stand unberührt auf dem Tisch, genau wie das Glas, das sie damals für sich selbst eingeschenkt hatte – an dem Tag, als Madeleine Carlyle zum Essen kam und starb.
Langsam, sehr langsam, denn sie spürte, dass die Anstrengung sie bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit belastete, ließ sie ihren Blick zurück durch den Raum und in ihren Schoß gleiten, wo sie wie aus weiter Ferne das leere Glas erkannte, das Scott ihr vorsichtig aus den Händen nahm.
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