Stadt der Lügen
Aber was geschieht dann? Sie werden schnell merken, wer ich bin.«
»Dazu müssen sie erst einmal wissen, wer ich bin«, antwortete sie. Ihr Mund verzog sich zum Hauch eines Lächelns. »Hast du daran gedacht?«
»Sie werden es wissen, Mom, glaube mir. Greg wird es wissen, Clark wird es wissen und Ben Kanter ebenfalls.« Es schmerzte Scott, das sagen zu müssen. Er wusste, dass man einem Schauspieler niemals die Illusion über seine Schauspielkunst rauben durfte, so schlecht er auch war oder gewesen sein mochte. Natürlich hatte Scotts Mutter den Leuten in ihrer Umgebung jahrelang etwas vorgemacht; doch dem prüfenden Blick von Profis konnte sie nicht standhalten. Scott kannte sowohl ihre Filme als auch einige Sachen, die sie für das Fernsehen gemacht hatte, und musste sich eingestehen, dass seine Mutter eine miserable Schauspielerin war.
Er selbst besaß Talent. Aber er wusste jetzt auch, woher es stammte: Es war ein Erbe der Familie Conrad – nicht seiner Mutter.
Und dann gab es noch eine andere Möglichkeit, die noch schlimmer war als ihr krankhaft unbeirrbarer Glaube, sie könne die Täuschung aufrechterhalten. Es war die Möglichkeit, dass sie zwar genau wusste, dass sie es nicht schaffen konnte, sich aber nicht darum scherte. Dass sie nur demütigen und sich rächen wollte, und falls bei dieser Gelegenheit ihr sorgfältig neu aufgebautes Leben und seine Zukunft zusammenbrechen würden – sei’s drum. Zwar traute Scott seiner Mutter eine solche Rücksichtslosigkeit kaum zu, aber war sie denn wirklich noch ganz normal?
Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Sie merkte es sofort. »Dir ist kalt«, sagte sie. »Soll ich dir einen Tee machen?«
»Nein danke«, erwiderte er und stand auf, um ihr zuvorzukommen. »Aber ich habe Durst. Ich hole mir einen Saft. Soll ich dir einen mitbringen?«
»Gern«, sagte sie. »Orangensaft bitte.«
Scott ging in die Küche und dachte über das Gespräch nach. Hatte er sie wirklich fair behandelt? Richtig, er war immer in ihrem Kielwasser geschwommen und hatte sich immer das gewünscht, was sie für ihn gewollt hatte. Grund dafür war aber, dass er das Leben in Hollywood erstrebenswert fand. Und jetzt, so kurz vor dem Ziel, wollte er nicht, dass es ihm ebenso zwischen den Fingern zerrann wie ihr.
Rückblickend fand er es absurd, sich darüber zu beschweren, von seiner Mutter manipuliert worden zu sein. Von einem bestimmten, weit in der Vergangenheit liegenden Punkt an war ihre Besessenheit zu seiner eigenen geworden. Und noch etwas später hatte es ihn mit Haut und Haaren gepackt. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Seit vielen Jahren schon hatte er sein Schicksal selbst in die Hand genommen. Seine Mutter war zum Außenseiter geworden. Vom Rand seines Lebens aus sah sie zu; längst war sie aus dem Mittelpunkt verbannt.
Und nun stand er hier mit einem fantastischen, doppelten Angebot: einer Heirat in die Upperclass von Hollywood und der Filmrolle seines Lebens. Mit dieser Rolle würde er Karriere machen. Und schon allein dafür würde jeder wirkliche Schauspieler leichten Herzens morden. Scott erinnerte sich, dass seine Mutter vor vielen Jahren diesen Ausdruck benutzt hatte – damals war er noch klein gewesen. »Eine Rolle, für die jeder Schauspieler, der mit Leib und Seele diesem Beruf verschrieben ist, seine Mutter umbringen würde«, pflegte sie zu sagen.
Und so tat er das, was er sich vorgenommen hatte, falls kein anderer Weg blieb. Er schüttete ein feines Pulver in eines der beiden Saftgläser und steckte das Tütchen sorgfältig in die Jackentasche. Dann brachte er die beiden Gläser in den Nebenraum und sah zu, wie seine Mutter trank.
»Weißt du, Mom«, sagte er und stellte sein eigenes Glas auf den Tisch, »eigentlich geht es mir gar nicht um den Inzest. Ich meine bei Kay und mir. Das ist kein Problem. Ich habe einiges darüber gelesen. Die Gefahr einer Inzucht besteht so gut wie gar nicht. Es ist sogar so, dass es über einen kurzen Zeitraum hinweg durchaus vorteilhaft sein kann – zum Beispiel bei Rennpferden. Das wirkliche Problem ist das soziale Tabu. Es stammt aus grauer Vorzeit, als es für eine Herde gefährlich war, wenn alle Männchen um die gleichen Weibchen kämpften. Verstehst du, was ich meine? Sex war weniger wichtig als der soziale Zusammenhalt.«
Er beobachtete, wie sie einen weiteren Schluck von ihrem Orangensaft nahm.
»Es geht um dieses Tabu, Mom«, fuhr Scott mit sanfter Stimme fort, als müsse er trauernde Hinterbliebene trösten oder
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