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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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Landschaft, Umgebung, Wetter, Jahreszeit und Mondschein. Diese Kurzweil war für uns die exquisiteste Form ästhetischen Ausdrucks, und wir verwandten große Sorgfalt auf die technischen Einzelheiten. Eine ungeeignete Stunde, ein störender Lichteffekt oder ungeschickte Handhabung des feuchten Bodens zerstörte in uns fast völlig den ekstatischen Kitzel, der der Exhumierung eines schrecklichen Geheimnisses der Erde folgte. Unsere Suche nach neuartigen Schauplätzen und aufreizenden Begebenheiten war fieberhaft und unersättlich − St. John war stets der Anführer, und er war es auch, der mir schließlich auf dem Weg zu dem spöttisch herausfordernden, verfluchten Ort voranging, der uns unser schreckliches und unvermeidliches Verderben brachte. Welch übelwollendes Schicksal lockte uns in diesen schrecklichen Friedhof in Holland? Ich glaube, es waren die dunklen Gerüchte und Sagen, die Erzählungen von einem, der seit fünf Jahrhunderten begraben ist, der selbst zu seiner Zeit ein Grabräuber gewesen war und einen starken Zauber aus dem Grab eines Mächtigen gestohlen hatte. Ich entsinne mich des Schauplatzes in diesen letzten Minuten −
    des gleichen Herbstmondes über den Gräbern, der lange, schreckliche Schatten warf, der grotesken Bäume, die sich finster neigten und auf das ungepflegte Gras und die verfallenen Grabplatten herabhingen, der ungeheueren Scharen merkwürdig riesiger Fledermäuse, die den Mond umflatterten, der uralten efeubewachsenen Kirche, die einen riesigen Geisterfinger gegen den fahlen Himmel reckte, der Leuchtinsekten, die wie Totenfeuer unter den Eiben in einer entfernten Ecke tanzten, des Geruchs von Fäulnis, Vegetation und schwerer erklärbaren Dingen, die sich von fernen Sümpfen und Meeren schwach mit dem Nachtwind vermischten und was das Schlimmste war, des schwachen, tieftönenden Bellens eines riesigen Hundes, den wir weder sehen, noch genau ausmachen konnten. Wir schauderten, als wir dieses andeutungsweise Bellen hörten, uns der Erzählungen der Bauern erinnernd, denn der, den wir suchten, 17
    war vor Jahrhunderten genau an dieser Stelle gefunden worden, zerrissen und zerfleischt von den Krallen und Zähnen einer unbeschreiblichen Bestie.
    Ich erinnere mich, wie wir uns mit den Spaten in das Grab des Grabräubers hineinarbeiteten und wie erregt wir waren, als wir uns uns selbst vorstellten, das Grab, den bleich herniederblickenden Mond, die schrecklichen Schatten, die grotesken Bäume, die riesigen Fledermäuse, die tanzenden Totenfeuer, die übelkeiterregenden Gerüche, das leise Klagen des Nachtwindes und das seltsame, halb hörbare richtungslose Bellen, über dessen tatsächliches Vorhandenseins wir nicht einmal sicher sein konnten. Dann trafen wir auf eine Substanz, die härter war als der feuchte Moder, und erblickten eine zerfallende, längliche Kiste, mit Mineralabsonderungen des lange unberührten Bodens verkrustet. Sie war unglaublich widerstandsfähig und dick, aber so alt, daß wir sie schließlich aufsprengten und unsere Augen an dem Inhalt weiden konnten.
    Viel − erstaunlich viel war trotz der verstrichenen fünfhundert Jahre von dem Objekt übriggeblieben. Das Skelett, obwohl stellenweise von den Kiefern des Geschöpfs, das es getötet hatte, zermalmt, hielt noch mit überraschender Festigkeit zusammen und wir weideten uns an dem sauberen, weißen Schädel mit den langen, kräftigen Zähnen, mit seinen leeren Augenhöhlen, die einst im Friedhofsfieber geglüht hatten, wie unsere eigenen. Im Sarg lag ein Amulett von merkwürdigem und exotischem Muster, das der stille Schläfer offenbar um den Hals getragen hatte. Es war die seltsam konventionell dargestellte Figur eines zusammengekauerten, geflügelten Hundes oder einer Sphinx mit einem halbhündischen Gesicht und war in altorientalischer Arbeitstechnik wunderbar aus einem kleinen Stück grünem Jade geschnitzt. Der Gesichtsausdruck war äußerst abstoßend, es hatte gleichzeitig einen Beigeschmack von Tod, Bestialität und übelwollen. Rund um die Standplatte befand sich eine Inschrift aus Zeichen, die weder St. John noch ich zu identifizieren vermochten, und auf der Bodenplatte war nach Art eines Herstellersiegels ein grotesker und schrecklicher Schädel eingraviert.
    Sofort, nachdem wir das Amulett erblickt hatten, wußten wir, daß wir es besitzen müßten, daß ausschließlich dieser Schatz die uns zustehende Beute aus dem jahrhundertealten Grab sein müsse. Es war in der Tat jeder Art von Literatur

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