Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
Vom Netzwerk:
Vernachlässigung bewohnt sein. Indessen reagierte niemand auf mein Klopfen, weshalb ich, nachdem ich es noch ein paarmal wiederholt hatte, die rostige Klinke niederdrückte und entdeckte, daß die Tür nicht versperrt war. Innen befand sich ein kleines Vestibül mit Wänden, von denen der Verputz abfiel und durch die Eingangstür drang ein schwacher/aber besonders unangenehmer Geruch. Mein Fahrrad tragend, trat ich ein und schloß die Tür hinter mir. Vor mir führte eine schmale Stiege nach oben, flankiert von einer kleinen Tür, wo es wahrscheinlich in den Keller ging, während sich zur Linken und Rechten geschlossene Türen befanden, die zu Parterrezimmem führten. Nachdem ich 54
    mein Rad an die Wand gelehnt hatte, öffnete ich die Tür zur Linken und betrat ein kleines Zimmer mit niedrigem Plafond, das von zwei staubigen Fenstern nur schwach erhellt wurde und in der kärgsten und primitivsten Weise möbliert war. Es schien eine Art Wohnzimmer zu sein, denn es enthielt einen Tisch und mehrere Stühle sowie einen riesigen Kamin, über dem auf dem Sims eine antike Uhr tickte. Es gab wenig Bücher und Papiere, und ich konnte in der herrschenden Düsternis die Titel nicht sofort erkennen. Was mich interessierte, war das einheitlich altertümliche Aussehen, das sich in jeder sichtbaren Einzelheit kundtat. Ich hatte in den meisten Häusern dieser Gegend viele Altertümer entdeckt, aber hier war die Altertümlichkeit auf merkwürdige Weise vollkommen, denn ich konnte im ganzen Zimmer nicht einen einzigen Gegenstand entdecken, der aus der Zeit nach der Revolution stammte. Wäre die Ausstattung weniger bescheiden gewesen, der Ort hätte ein Paradies für Sammler sein können.
    Als ich mich in der seltsamen Behausung umsah, fühlte ich, wie meine Abneigung zunahm, die zuerst durch das trostlose Äußere des Hauses hervorgerufen worden war. Was es genau war, das ich fürchtete oder verabscheute, konnte ich keineswegs definieren, aber irgend etwas in der Atmosphäre gemahnte an ungeweihtes Alter, an unerfreuliche Unvollkommenheit und an Geheimnisse, die man vergessen sollte. Ich hatte nicht den Wunsch, mich hinzusetzen, und ging herum, um die verschiedenen Gegenstände, die mir aufgefallen waren, zu untersuchen. Das erste Ziel meiner Neugier war ein Buch von mittlerer Größe,das auf dem Tisch lag und einen derart vorsintflutlichen Anblick bot, daß ich mich wunderte, es außerhalb eines Museums oder einer Bibliothek zu finden. Es war in Leder gebunden, hatte Metallbeschläge und war in ausgezeichnetem Erhaltungszustand, es war überhaupt ein zu ungewöhnliches Buch, um es in einem so bescheidenen Heim anzutreffen. Als ich es beim Titelblatt aufschlug, nahm meine Verwunderung noch mehr zu, denn es erwies sich als keine andere Rarität, als Pigafettas Bericht über die Gegend am Kongo, nach Aufzeichnungen des Matrosen Lopex in Latein geschrieben und in Frankfurt im Jahre 1598 gedruckt. Ich hatte von diesem Werk mit seinen merkwürdigen Illustrationen der Brüder De Bry oft gehört, deshalb vergaß ich für kurz mein Unbehagen über dem Wunsche, die Seiten vor mir umzublättern. Die Stiche waren wirklich interessant, ganz nach der Phantasie und unzulänglichen Beschreibungen gezeichnet, sie stellten Neger mit weißer Haut und indogermanischen Gesichtszügen dar, und ich hätte das Buch sobald nicht zugeklappt, hätte nicht ein äußerst geringfügiger Umstand meine ermüdeten Nerven erregt und ein Gefühl der Unruhe Wiederaufleben lassen. Was mich ärgerte, war lediglich die hartnäckige Neigung des Buches, bei Tafel xii auseinanderzufallen, die in grauslichen Details einen Metzgerladen der kannibalischen Anziques darstellte. Ich schämte mich etwas ob meiner Eindrucksfähigkeit durch so etwas Unwichtiges, aber die Zeichnung beunruhigte mich trotzdem, besonders im Zusammenhang mit einigen dazugehörigen Abschnitten, welche die Gastronomie der Anziques schildern.
    Ich hatte mich dem Regal daneben zugewandt und untersuchte seinen dürftigen literarischen Inhalt − eine Bibel aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein »Pilgrims Progress« aus derselben Zeit mit grotesken Holzschnitten, gedruckt von dem Almanachhersteller Isaiah Thomas, die morsche Masse von Cotton Mathers 55
    »Magnalia Christi Americana« und einige andere Bücher von offensichtlich gleichem Alter − als meine Aufmerksamkeit durch das unmißverständliche Geräusch von Schritten aus dem Zimmer über mir geweckt wurde. Zunächst in Anbetracht der Nichtbeantwortung

Weitere Kostenlose Bücher