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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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bei meinen genealogischen Arbeiten auf den Namen gestoßen, aber nur in Berichten aus der Zeit vor der Revolution. Ich fragte mich, ob mein Gastgeber mir bei der Aufgabe helfen könne, mit der ich mich abmühte, und beschloß, ihn später danach zu fragen. Er fuhr fort.
    »Ebenezer fuhr jahrelang auf einem Handelsschiff und erwarb in jedem Hafen eine Menge merkwürdiger Dinge. Er kaufte dies in London, nehme ich an − er pflegte in Geschäften derartige Sachen zu kaufen. Ich war einmal in seinem Haus auf dem Hügel −ich handelte mit Pferden −, als ich dies Buch sah. Mir gefielen die Bilder, weshalb er es mir in Tausch gab. Es ist ein merkwürdiges Buch − warten Sie, ich will meine Brille raussuchen −« der Alte fummelte in seinen Lumpen herum und zog ein Paar verschmutzter und erstaunlich alter Gläser mit achteckigen Linsen und Stahlbügeln hervor. Nachdem er sie aufgesetzt hatte, langte er nach dem Band auf dem Tisch und blätterte liebevoll die Seiten um.
    »Ebenezer konnte davon ein bißchen lesen − es ist Latein − aber ich kann es nicht. Ich ließ mir von zwei oder drei Schulmeistern ein bißchen was daraus vorlesen, und später noch von Pfarrer Clark, der, von dem behauptet wird, er sei im Teich ertrunken − werden Sie daraus klug?« Ich sagte ihm, das würde ich und übersetzte ihm einen Abschnitt am Anfang des Buches. Sollte ich einen Fehler gemacht haben, er war nicht gelehrt genug, um mich zu verbessern; denn er schien von meiner englischen Version kindisch entzückt zu sein. Seine Nähe wurde mir allmählich lästig, aber ich sah keine Möglichkeit, ihm auszuweichen, ohne ihn zu kränken. Ich amüsierte mich über die kindische Schwärmerei dieses ungebildeten Alten für die Bilder eines Buches, das er nicht lesen konnte, und fragte mich, inwieweit er die paar englischen Bücher lesen könne, die den Raum zierten. Diese offenbare Einfalt nahm viel von der unbestimmten Beklemmung, die ich empfunden hatte, ich lächelte, und mein Gastgeber fuhr lebhaft fort.

57
    »Komisch, wie Bilder einen zum Nachdenken anregen können. Nehmen Sie das hier gleich am Anfang. Haben Sie je derartige Bäume gesehen, mit großen Blättern, die auf− und niederflattern? Und erst die Menschen − das können doch keine Neger sein −, das übertrifft alles. Ich nehme an, sie sehen eher wie Indianer aus, obwohl sie in Afrika leben. Manche dieser Geschöpfe sehen wie Affen oder wie halb Affe, halb Mensch aus, aber ich habe nie von etwas gehört wie von diesem einen da.«
    Hier deutete er auf ein Fabelwesen des Künstlers, das man als eine Art Drache mit dem Kopf eines Alligators beschreiben könnte.
    »Aber jetzt zeige ich Ihnen das Beste − hier, fast in der Mitte −« Die Stimme des Alten wurde etwas undeutlicher, und in seine Augen kam ein stärkerer Glanz; aber seine tastenden Hände, obwohl sie ungeschickter als vorher zu sein schienen, waren ihrer Aufgabe völlig gewachsen. Die Buchseiten fielen beinah von selbst auseinander, als sei es an dieser Stelle viel benützt worden, und zwar bei Tafel zwölf, die den Metzgerladen der Anziquekannibalen darstellt. Das Gefühl der Beunruhigung war wieder da, obwohl ich es mir nicht anmerken ließ. Das besonders Bizarre war, daß der Künstler die Afrikaner wie Weiße dargestellt hatte − die Gliedmaßen und Viertel, die an den Wänden des Ladens hingen, waren furchtbar, während der Metzger mit seiner Axt wie schrecklich fehl am Platze wirkte. Aber mein Gastgeber schien den Anblick genauso zu genießen, wie ich ihn verabscheute.
    »Was denken Sie darüber − so was habe ich hier noch nie gesehen, nicht? Als ich das sah, sagte ich zu Eb Holt, »das ist etwas, das einen aufwühlt und das Blut angenehm erregt«. Als ich in der Heiligen Schrift über das Erschlagen las
    − wie die Midianiter, die erschlagen wurden −, begann ich, mir darüber Gedanken zu machen, aber ich hatte kein Bild davon gesehen. Hier kann ein Mensch nun sehen, wie es dabei zugeht −ich vermute, es ist sündig, aber sind wir nicht alle in Sünde geboren und leben darin? − Dieser Bursche, der zerhackt wird, erregt mich jedesmal, wenn ich ihn ansehe, und ich muß ihn immer wieder betrachten − sehen Sie, wo ihm der Metzger die Füße abgeschnitten hat?
    Sein Kopf liegt auf dieser Bank und ein Arm daneben, und der andere Arm liegt auf der anderen Seite des Hackblocks.«
    Während der Mann in erschreckender Ekstase murmelte, wurde der Ausdruck seines haarigen, bebrillten Gesichtes unbeschreiblich,

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