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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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meines Klopfens von vorhin erstaunt und erschrocken, kam ich sofort danach zu dem Schluß, daß der Herumgehende soeben aus einem gesunden Schlaf erwacht sei, und war nicht mehr so überrascht, als Fußtritte auf der knarrenden Stiege hörbar wurden. Der Schritt war schwer, dennoch schien er etwas merkwürdig Vorsichtiges an sich zu haben, eine Eigenschaft, die mir um so mehr mißfiel, weil der Schritt so schwer war. Als ich das Zimmer betreten hatte, hatte ich die Tür hinter mir geschlossen. Nun hörte ich, nach einem Augenblick der Stille, in der der Wanderer vielleicht mein Fahrrad in der Diele inspiziert hatte, ein Tasten an der Klinke und sah, wie die Tür aufging.
    Im Türrahmen stand ein menschliches Wesen von derart sonderbarem Aussehen, daß ich wahrscheinlich einen lauten Ausruf getan hätte, hätte nicht meine gute Erziehung mich daran gehindert. Alt, weißbärtig und zerlumpt, besaß mein Gastgeber eine Haltung und Konstitution, die gleichzeitig Verwunderung und Respekt einflößte. Seine Größe konnte nicht weniger als sechs Fuß betragen und trotz des allgemeinen Aussehens von Alter und Armut war er dick und kräftig in den Proportionen. Sein Gesicht, das ein langer weißer Bart, der sich hoch an den Backen hinaufzog, beinah verbarg, erschien ungewöhnlich frisch und weniger faltig, als man erwartet hätte; während über die hohe Stirn ein Schöpf weißen Haares fiel, der im Lauf der Jahre nur wenig dünner geworden war. Seine blauen Augen, obwohl ein bißchen blutunterlaufen, schienen unerklärlich scharf und brennend. Wäre nicht die schreckliche Ungepflegtheit gewesen, der Mann hätte ebenso bedeutend wie eindrucksvoll gewirkt. Diese Ungepflegtheit machte ihn trotz seines Gesichtes und seiner Erscheinung widerwärtig. Woraus seine Kleidung eigentlich bestand, konnte ich kaum feststellen, für mich schien es nicht mehr als ein Lumpenbündel, das über einem Paar hoher, schwerer Stiefel begann, und sein Mangel an Reinlichkeit übertraf jede Beschreibung.
    Die äußere Erscheinung dieses Mannes und die instinktive Furcht, die er einflößte, ließen mich auf etwas wie Feindseligkeit gefaßt sein, so daß es mich fast vor Überraschung und einem Gefühl unheimlicher Widersinnigkeit schauderte, als er mich durch eine Bewegung aufforderte, Platz zu nehmen, und mich mit dünner, schwacher Stimme voll unterwürfigen Respekts und gewinnender Gastfreundlichkeit ansprach.
    »Der Regen hat Sie wohl überrascht, nicht wahr?« begrüßte er mich. »Bin froh, daß Sie in der Nähe des Hauses waren und soviel Vernunft hatten, einfach reinzugehen. Ich nehme an, daß ich schlief, sonst hätte ich Sie gehört − ich bin nicht mehr so jung, wie ich früher einmal war, und ich brauche heutzutage einen mächtig langen Mittagsschlaf. Kommen Sie von weit her? Ich habe kaum Leute auf dieser Straße gesehen, seit man die Postkutsche nach Arkham eingestellt hat.«
    Ich erwiderte, daß ich nach Arkham wolle, und entschuldigte mich für mein rücksichtsloses Eindringen in sein Heim, worauf er weitersprach.

56
    »Freut mich, Sie zu sehen, junger Herr − neue Gesichter sind rar hier in der Gegend, und ich hab' heutzutage nicht mehr viel, was mich aufheitert. Nehme an, Sie kommen aus Boston, nicht wahr? Ich war noch nie dort, aber ich erkenne einen Städter sofort, wenn ich einen sehe − wir hatten einen als Bezirkslehrer vierundachtzig, aber er ging plötzlich fort, und niemand hat seither von ihm gehört −« An dieser Stelle begann der Alte stillvergnügt zu lachen, gab aber keine Erklärung, als ich ihn nach dem Grund fragte. Er schien in überquellend guter Laune zu sein, dennoch besaß er ausgefallene Eigenschaften, wie man an seiner Aufmachung erkennen konnte. Er sprach noch einige Zeit mit einer etwas hektischen Jovialität unzusammenhängendes Zeug weiter, als mir der Gedanke kam, ihn zu fragen, wie er zu einem so seltenen Buch wie Pigafettas »Regnum Congo« gekommen sei. Das Buch beeindruckte mich noch immer, und ich empfand ein gewisses Zögern, es zu erwähnen, aber die Neugier überkam all meine unbestimmten Ängste, die seit dem ersten Anblick des Hauses sich immer mehr verstärkt hatten. Zu meiner großen Erleichterung schien die Frage ihm nicht peinlich zu sein, denn der Alte beantwortete frei und wortreich.
    »Oh, das Afrikabuch? Kapitän Ebenezer Holt, der, der im Krieg fiel, gab es mir achtundsechzig im Tausch.« Etwas an dem Namen Ebenezer Holt veranlaßte mich, plötzlich erstaunt aufzublicken. Ich war

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