Starkes Gift
legten großen Wert darauf, ein Omelett nur ganz frisch aus der Pfanne zu essen – ein guter Grundsatz, und ich würde Ihnen allen empfehlen, mit Omeletts nur auf diese Weise zu verfahren und sie nie stehen zu lassen, sonst werden sie zäh. Vier Eier wurden in ihren Schalen an den Tisch gebracht, und Mr. Urquhart schlug sie nacheinander in eine Schüssel und gab Zucker aus einem Streuer hinzu. Dann reichte er die Schüssel Mr. Boyes und sagte: ›Du bist hier der Experte für Omeletts, Philip – das überlasse ich dir.‹ Philip Boyes rührte dann Eier und Zucker untereinander, bereitete das Omelett in der Tischpfanne zu, füllte es mit heißer Marmelade, die von Hannah Westlock gebracht wurde, teilt es schließlich in zwei Teile und gab den einen Mr. Urquhart, den anderen nahm er selbst.
Ich habe Ihnen alle diese Dinge besonders sorgfältig ins Gedächtnis zurückgerufen, weil sie ein guter Beweis dafür sind, daß von allen bei diesem Essen servierten Gängen mindestens zwei, meist sogar vier Personen gekostet haben. Das Omelett – das einzige Gericht, von dem nichts mehr in die Küche hinausging – wurde von Philip Boyes zubereitet und von ihm und seinem Vetter gemeinsam verzehrt. Weder Mr. Urquhart noch Miss Westlock noch Mrs. Pettican, die Köchin, hatten von diesem Abendessen irgendwelche Beschwerden.
Ich sollte noch erwähnen, daß sich unter den angebotenen Nahrungs- und Genußmitteln eines befand, von dem Philip Boyes als einziger nahm, und zwar eine Flasche Burgunder. Es war ein guter alter Corton, aufgetischt in der Originalflasche. Mr. Urquhart entkorkte sie und reichte sie Philip Boyes, wobei er anmerkte, daß er selbst nichts davon nehmen wolle, da ihm geraten worden sei, zum Essen nichts zu trinken. Philip Boyes trank zwei Gläser, und der restliche Flascheninhalt wurde glücklicherweise aufbewahrt. Wie Sie bereits gehört haben, wurde der Wein später analysiert und gänzlich harmlos befunden.
Inzwischen ist es neun Uhr. Nach dem Essen wird Kaffee angeboten, aber Boyes entschuldigt sich mit der Begründung, daß ihm an türkischem Kaffee nichts liege und er außerdem wahrscheinlich bei Harriet Vane noch Kaffee angeboten bekomme. Um 21.15 Uhr verläßt Boyes Mr. Urquharts Haus am Woburn Square und läßt sich von einem Taxi zur Doughty Street Nr. 100 fahren, wo Miss Vane ihre Wohnung hat – eine Strecke von ungefähr einer halben Meile. Wir wissen von Harriet Vane selbst sowie von Mrs. Bright, der Inhaberin der Erdgeschoßwohnung, und von Polizeikonstabler D. 1234, der um diese Zeit gerade durch die Straße ging, daß er um fünfundzwanzig Minuten nach neun an der Haustür stand und bei der Angeklagten klingelte. Sie hatte ihn schon erwartet und ließ ihn unverzüglich ein.
Da das nun folgende Gespräch unter vier Augen stattfand, wissen wir über seinen Verlauf natürlich nur das, was die Angeklagte uns darüber berichtet hat. Sie sagt, sie habe ihm gleich nach seinem Eintreten eine Tasse Kaffee angeboten, ›die auf dem Gaskocher bereitstand‹. Als der Herr Staatsanwalt die Angeklagte dies sagen hörte, fragte er sie sofort, wo denn der Kaffee bereitgestanden habe. Die Angeklagte verstand offenbar nicht sogleich, worauf die Frage hinauslief, und antwortete: ›Nun, hinterm Schutzblech, zum Warmhalten.‹ Als die Frage dann präziser wiederholt wurde, erklärte sie, daß sie den Kaffee in einem Topf zubereitet und diesen hinter das Schutzblech des Gasbrenners gestellt habe. Der Staatsanwalt wies darauf die Angeklagte auf ihre frühere Aussage vor der Polizei hin, in der es geheißen hatte: ›Als er kam, hatte ich eine Tasse Kaffee für ihn bereitstehen.‹ Sie werden sogleich die Bedeutung verstehen. Wenn der Kaffee sich bereits vor der Ankunft des Verstorbenen in den Tassen befand, war es ohne weiteres möglich gewesen, in die eine Tasse Gift zu tun und diese dann Philip Boyes anzubieten; wenn aber der Kaffee erst in Anwesenheit des Verstorbenen in die Tassen geschenkt wurde, so war diese Möglichkeit eingeschränkt, wenn auch keineswegs ausgeschlossen, denn das Gift konnte auch noch in einem Augenblick beigemischt werden, in dem Boyes’ Aufmerksamkeit gerade abgelenkt war. Die Angeklagte erklärt, sie habe in ihrer ersten Aussage von einer ›Tasse Kaffee‹ gesprochen, um damit ›eine bestimmte Menge Kaffee‹ zu bezeichnen. Sie werden selbst beurteilen können, inwieweit eine solche Ausdrucksweise üblich und normal ist. Der Verstorbene hat laut ihrer Aussage weder Milch noch
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