Staub Im Paradies
herzlich begrüßt worden und hatten literweise süßen Tee vorgesetzt bekommen. Erfahren aber hatten sie rein gar nichts: Die Leute lebten gern hier, von Schutzgeld hatten sie noch nie gehört, um Politik scherten sie sich nicht.
Tatsächlich bereiteten die rund sechstausend Tamilen in Zürich vergleichsweise wenig Probleme. Unter den achtzig Prozent Ausländern in den Zürcher Gefängnissen waren sie stark unterproportional vertreten. Dennoch waren sie natürlich nicht alle nur Zuckerbuben, wie Gret ein Blick ins Journal gezeigt hatte, eine Computerdatei, in der sämtliche Einsätze der Kantonspolizei protokolliert wurden. Eine wüste Keilerei in Dübendorf, eine durch Messerstiche schwer verletzte Ehefrau in Uster, ein Eifersuchtsdrama mit zwei Toten in Turbenthal – die Tamilen trugen durchaus ihren Teil zur Kriminalitätsstatistik der Schweiz bei.
Neben schweren Fällen fand sich im Journal auch viel Groteskes. So wurde etwa die Verhaftung von drei Tamilen erwähnt, die – gegen ein saftiges Entgelt – deutschunkundigen Landsleuten zu Führerscheinen verholfen hatten, indem sie statt derer mit gefälschten Ausweisen zur Theorieprüfung angetreten waren. Und vor drei Tagen hatte ein Team der schwer bewaffneten Einsatztruppe Diamant die Räumlichkeiten einer mittelgroßen Werbeagentur gestürmt, um einen Tamilen abzuführen, den die Werber als Mädchen für alles eingestellt hatten: Der Mann hatte vom Fax der Agentur aus eine Bombendrohung an das Sicherheitsministerium in Colombo geschickt.
Dass Schweizer Tamilen den Guerillakampf in Sri Lanka auf vielfältige Weise unterstützten, war ein offenes Geheimnis. Auch dass Mitglieder der paramilitärischen Befreiungsorganisation LTTE Landsleute mit teilweise unzimperlichen Methoden zur Zahlung von Schutzgeldern zwangen, die in die Kriegskasse der Liberation Tigers flossen, bestritt niemand. Selbst die Höhe der erpressten Gelder war bekannt: Fünftausend Franken jährlich wurden Laden- und Restaurantbesitzern abgeknöpft, notfalls unter Androhung von massiven Repressalien gegen Angehörige in der Heimat.
Die Erpressungen waren kürzlich sogar Gegenstand einer Interpellation im Kantonsparlament gewesen, woraufhin sich der Gott sei Dank bald scheidende Regierungsrat Jucker zu einer überaus nichtssagenden Antwort bequemt hatte. Das entsprach seinem üblichen Verhalten, war diesmal aber nicht seine Schuld: Die zuständige Spezialabteilung 1 führte tatsächlich seit zwei Jahren keine Dossiers mehr zu diesem Thema, da es angeblich unmöglich war, den Beteiligten etwas nachzuweisen. Einerseits hüteten sich die Betroffenen, Anzeige zu erstatten, andererseits verlief die Grenze zwischen freiwilliger Spende und strafrechtlich relevanter Erpressung fließend. Und über so etwas wie V-Männer oder Spitzel in der Tamilenszene verfügte die Zürcher Polizei nicht.
Gret hatte gerade ein ergebnisloses Treffen mit dem Redakteur einer wöchentlich erscheinenden tamilischen Zeitung voller Veranstaltungshinweise hinter sich und befand sich auf dem Weg in die Neugasse zum Kino Riff Raff. Die Kollegen von der Stadtpolizei hatten im Zuge des Leichenfundes von einer angeblichen Schlägerei unter Tamilen in diesem Kino gehört.
Gret durchquerte zu Fuß das Zeughausareal. Sie schätzte die Temperatur auf rund fünf Grad, die Stadt lag unter einer kompakten Hochnebeldecke, wie so oft im Winter. In Basel schien sicher die Sonne, dachte sie ein wenig wehmütig, denn das Winterwetter war am Rhein wirklich besser. Aber sie hatte sich in ihrem Beruf weiterentwickeln wollen und hier in Zürich hatte man ihr die Chance dazu gegeben. Außerdem hatte sie irgendwann schlichtweg genug gehabt von der Stadt am Rhein – speziell von ihren Männern.
Einige Obdachlose belagerten krakeelend die Holzbänke auf der Wiese des Zeughaushofs, ihre Hunde tobten durch ein kreisförmiges Labyrinth aus Blumen und Sträuchern, das Freiwillige angelegt hatten und seit Jahren wacker hegten. Jetzt im Februar bestand es allerdings nur aus zerzaustem, erfrorenem Gestrüpp.
Gret erreichte die Kanonengasse und ging durch die Militärstrasse bis zur Langstrasse. Dort nahm sie die bei vielen Zürchern unbeliebte Unterführung, die vom Stadtkreis 4 in den Kreis 5 führt. Ihre derzeit beste Freundin Zoé, eine Buchhändlerin, die wie sie selbst erst vor Kurzem von Basel nach Zürich gezogen war, nahm für diese wirklich nicht sehr lange Strecke prinzipiell den Bus, seit sie spät nachts einmal von Fixern belästigt
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