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Staub Im Paradies

Titel: Staub Im Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Solèr
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jagt. Aber gut, die lieben Kinder sollen machen dürfen, wonach es sie gelüstet. Und immerhin wird Anna bald Doktorin der Biologie sein, was mich durchaus stolz macht. Frau Doktor Staub, das klingt wahrlich nicht übel. Besser jedenfalls als Hauptmann Staub.
    Leonie und Adrienne sind unverhofft verstummt. Ein vorsichtiger Seitenblick verrät mir, dass an die Stelle heftigen Disputs intensives Schmollen getreten ist. Gut so, dann kann ich vielleicht noch ein wenig schlafen, bevor ich meinen Fuß in das sri-lankische Tropenparadies setze. Oder mir nochmals überlegen, warum in aller Welt ich mich dazu habe überreden lassen, nach diesen Ferien Kommandant der Zürcher Kantonspolizei zu werden. Denn um ehrlich zu sein: Davor graut mir jetzt schon. Sitzungen ohne Ende mit Polithengsten, die keinen Schimmer von wahrer Polizeiarbeit haben und mich mit ›Major Staub‹ ansprechen werden. Entsetzlich!
    Bereits morgen in zwei Wochen soll ich zum Antrittsbesuch bei unserem kantonalen Polizeidirektor Jucker erscheinen. Einem Mann, der in seiner Freizeit afrikanische Kunst sammelt und das Polizeiwesen im Kanton Zürich ungefähr so stark prägt wie ein Mäuschen den Pegelstand eines Ozeans, in den es brünzelt.
    Immerhin tritt Jucker bei den kommenden Wahlen im März zurück. Vermissen werden ihn nur diejenigen, die früher näher mit seiner Vorgängerin, Regierungsrätin Durrer, zu tun hatten, einer aufgedonnerten Furie der rechtspopulistischen SVP, die heute ein anderes Departement führt und nirgendwo weniger Wählerstimmen erhält als in der Gemeinde, in der sie aufgewachsen ist und immer noch wohnt. Dort also, wo man sie kennt.
    »Was denkst du denn über den Kolonialismus, Fred?«, fragt mich die bildhübsche Adrienne über Leonies Kopf hinweg und richtet ihre stahlblauen Augen, die unter einer pechschwarzen Wuschelmähne hervorblitzen, auf mich. »Dadurch, dass die Engländer die Tamilen bewusst bevorzugt haben und mit ihnen zusammen die singhalesische Mehrheit knechteten, wurde der Grundstein für den Krieg doch erst gelegt. Oder etwa nicht?«
    »Das ist viele Jahrzehnte her, meine Liebe, das Land wurde bereits 1948 in die Unabhängigkeit entlassen«, belehrt Leonie sie ungefragt.
    Ich brumme jetzt doch, ich müsse leider dringend aufs Klo, und hieve mich aus meinem Sitz. Natürlich ertönt genau in diesem Moment eine Durchsage aus den Lautsprechern, die von Turbulenzen spricht.
    »Krieg ist Blödsinn, so oder so«, knurre ich deshalb und lasse mich wieder in das Polster fallen.
    »Vielen Dank für diesen wirklich substanziellen Beitrag, Fred«, frotzelt Leonie, während sich von hinten der durch ein Luftloch aufgerüttelte Per zu Wort meldet, um gähnend zu fragen, ob wir schon da seien.

Gret geht ins Kino
    Vier Tage waren vergangen seit ihrem ersten Blick auf den toten Tamilen vor dem Riff Raff. Gret erinnerte sich bestens. Der Mann war seitlich zusammengekrümmt im schmutzigen Kies gelegen und hatte hässliche Stichwunden aufgewiesen: zwei braun geränderte Schlitze im Rücken. Nachdem sie und der lustlose Mario den Toten ausgiebig betrachtet hatten, war er in das Institut für Rechtsmedizin abtransportiert worden, wo er bis heute in einer Kühlbox lag.
    Die Ermittlungen hatten sich wie erwartet mühsam entwickelt. Sie wussten bis heute noch nicht einmal, wer der Tote war. Seine Fingerabdrücke waren weder auf dem Migrationsamt noch beim Bundesamt für Flüchtlingswesen noch in irgendeinem Polizeiarchiv weltweit registriert. Diverse Mails und Faxschreiben an allerhand Ämter und Behörden in Sri Lankas Hauptstadt Colombo waren bis dato unbeantwortet geblieben. Auch die Veröffentlichung von Bildern des Toten hatte keinerlei Hinweise auf seine Identität gebracht.
    Laut Ralf Strich vom Kriminaltechnischen Dienst war der kräftig wirkende, ungefähr fünfundzwanzig Jahre alte, für einen Tamilen auffallende ein Meter zweiundachtzig große Mann nicht an demselben Ort erstochen worden, an dem seine Leiche gefunden wurde. Getötet worden war er vermutlich mit einem scharf geschliffenen Messer mit einer rund fünfzehn Zentimeter langen Klinge. Als letzte Mahlzeit in seinem Leben hatte der Mann ein Lammcurry verspeist und Bier getrunken. Sein linker Oberarm wies eine schlecht verheilte, tiefe Schnittwunde auf und mindestens einmal im Leben hatte ihn die Malaria geplagt.
    Das Problem war, dass aus den ortsansässigen Tamilen einfach nichts herauszubekommen war. Die Mitarbeiter von Besondere Verfahren waren zwar überall

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