Staub Im Paradies
worden war.
Heute Morgen allerdings war die Unterführung fast leer, lediglich zwei dick vermummte Velofahrer rasten Gret entgegen. Sie trat wieder in das trübe Tageslicht, trank an dem aus drei Betonquadern lieblos zusammenzementierten Brunnen vor dem Latinoschuppen Flair Bar La Gozadera einen Schluck Wasser, überquerte die Röntgenstrasse, passierte an der gleichnamigen Bushaltestelle eine Gruppe pöbelnder jugendlicher Albaner, schwenkte dann in die Neugasse ein und meldete sich schließlich am Schalter des Kinos.
Der Geschäftsleiter komme gleich, informierte sie eine Frau mit schrecklichen orangefarbenen Streifen in ihrem zu einem Pilz geschnittenen braunen Haar, und Gret sah sich in dem verwaisten Barraum um und betrachtete die Filmplakate an den Wänden. Eine schräge Komödie aus Spanien, ein Drama aus Dänemark, ein Schweizer Dokumentarfilm über die letzten Bergbauern des Landes.
Das Riff Raff setzte ausschließlich – und, wie sie vermutete, ziemlich erfolgreich – auf kleinere Filme abseits des Hollywoodmainstreams. Sie selbst war auch schon hier gewesen, zuletzt vor gut einem Vierteljahr mit einem Staatsanwalt, der ihr erst gefallen hatte, dann aber schnell zu fordernd geworden war.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, sprach sie ein rund vierzigjähriger, jugendlich wirkender Mann mit Hornbrille und Kapuzenpullover an.
»Gerne, einen Latte macchiato, wenn das geht«, antwortete Gret und der Mann strebte wortlos lächelnd davon. Sie ließ sich auf einen der Hocker nieder und lauschte dem Mahlen der Maschine. Nach einer Weile hörte sie Geschirr klappern und dann kam der Mann zurück und platzierte zwei hohe Gläser, Löffel und Unterteller auf das Bartischchen. Er setzte sich ihr gegenüber und musterte sie interessiert aus tief liegenden, fast kohlschwarzen Augen.
»Sind Sie wirklich von der Kripo?«, fragte er etwas schnoddrig.
»Leiten Sie tatsächlich ein Kino mit vier Sälen?«, entgegnete Gret im gleichen Tonfall.
Der Mann grinste. »Entschuldigung, ich wollte nicht respektlos sein. Ich staune nur. Denn wenn hier mal Polizei auftaucht, dann meist in Uniform und mit grimmigen Gesichtern.«
»So wie am Sonntag?«
»So wie am Sonntag«, bestätigte er. »Es ist nicht so, dass wir hier besonders polizeifreundlich wären, aber wir wussten uns wirklich nicht mehr anders zu helfen, als die 117 zu wählen.«
»Was genau war denn los?«, fragte Gret und rührte im Milchschaum ihres Kaffees herum.
»Sehen Sie, vor rund zwei Jahren hat sich eine Gruppe Tamilen an uns gewandt und angefragt, ob es möglich sei, jeweils sonntags einen Kinosaal zu mieten, um darin eigene Filme vorführen zu dürfen. Natürlich sagten wir sofort zu. Im Kino Uto, in dem diese Veranstaltung bis dahin stattgefunden hatte, ging es aus irgendwelchen Gründen nicht mehr. Und bei den anderen Kinos der Stadt stießen die Leute offenbar auf pure Ablehnung. Das Ganze entwickelte sich bestens und wurde zu einem richtigen Happening. Es wurden Filme gezeigt, im Hinterhof Tische und Bänke aufgestellt, gegessen, getrunken und getanzt, es war jedes Mal ein kleines Volksfest. Nur kam es leider in jüngster Zeit vermehrt zu heftigen Auseinandersetzungen.«
»Worum ging es dabei?«
»Wenn ich das wüsste! Klar ist nur, dass die Leute offensichtlich keinen Alkohol vertragen. Erst haben sie sich nur verbal angefeindet. Aber letzten Sonntag kam es hier zu unglaublich gewalttätigen Szenen, zu einer richtig brutalen Schlägerei mit Verletzten und weinenden Kindern.«
»Kennen Sie diesen Mann?«, fragte Gret unvermittelt und zog das Foto des erstochenen Tamilen hervor.
»Der war dabei, hat aber eher zu schlichten versucht, wenn ich mich recht erinnere«, versicherte ihr der Kinomann nach einem kurzen Blick auf das Bild. »Und ich glaube, er hat der ganzen Gruppe einige Getränke spendiert, bevor die Schlägerei losging.«
»Waren denn auch Verwandte oder Freunde von diesem Mann da?«
»Schwer zu sagen. Ich habe ihn ja nicht extra beobachtet.«
»Wären Sie gegebenenfalls in der Lage, weitere Beteiligte dieser Schlägerei zu identifizieren?«, fragte Gret.
Der Mann nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas und seufzte: »Jetzt, mit vierzig, arbeite ich also auch noch mit der Polizei zusammen! Wer hätte das gedacht.«
»Wir alle entwickeln uns weiter«, grinste sie. »Und außerdem arbeiten Sie ja mit mir zusammen, oder?«
Er sah sie forschend an und lenkte dann ein: »Das ist natürlich ein Argument. Wie heißen Sie denn? Mit
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