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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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gehört, dass sie hier ein neues Parkhaus brauchen, weil sie den Bahnhof an der Main Street wieder eröffnen wollen. Ich habe vergessen, wer mir das erzählt hat. Ist schon eine Weile her.«
    »Wäre nett gewesen, wenn du es mir gesagt hättest«, erwidert sie.
    »Es ist schon eine Weile her, und ich erinnere mich nicht einmal mehr, von wem ich es habe.«
    »Trotzdem wäre es nett, wenn ich Informationen wie diese bekäme.«
    Er sieht sie an. »Ich kann es dir nicht verdenken, dass du schlechte Laune hast. Ich habe ich dich ja davor gewarnt, herzukommen. Der Abriss ist ein Omen, wenn du mich fragst. Außerdem fährst du gleich Schritttempo. Vielleicht solltest du mal Gas geben.«
    »Ich habe keine schlechte Laune«, entgegnet sie. »Aber ich bin nun mal gern über alles im Bilde.« Sie fährt langsam weiter und betrachtet dabei das Gebäude, in dem früher ihr Arbeitsplatz war.
    »Ich sage dir, es ist ein Omen«, wiederholt er, blickt sie an und starrt dann wieder aus dem Fenster.
    Anstatt Gas zu geben, beobachtet Scarpetta weiter den Zerstörungsprozess. Langsam dämmert ihr die Wahrheit, und zwar etwa in demselben Tempo, in dem sie um den Häuserblock fährt. Das frühere Büro des Chefpathologen und die Labors der Gerichtsmedizin müssen einem Parkhaus für den restaurierten Bahnhof an der Main Street weichen, wo in dem Jahrzehnt, als sie und Marino hier gearbeitet haben, kein einziger Zug gehalten hat. Das gewaltige gotische Bahnhofsgebäude besteht aus einem Stein, der die Farbe getrockneten Blutes hat. Viele Jahre lang hat es im Dornröschenschlaf gelegen, nur unterbrochen von gelegentlichen Zuckungen, als es erst zum Einkaufszentrum umfunktioniert wurde – das bald Pleite machte – und später die Büros von Behörden beherbergte, die ebenso rasch wieder umzogen. Sein hoher Turm mit der Uhr galt als Wahrzeichen am Horizont und wachte über die geschwungenen Kurven des Highway I-95 und der Eisenbahnbrücken, ein geisterhaft bleiches Zifferblatt mit filigranen Zeigern, auf dem die Zeit stehen geblieben war.
    Richmond hat sich ohne Scarpetta weiterentwickelt. Der Bahnhof an der Main Street wurde wieder zum Leben erweckt und ist nun ein Knotenpunkt für die Züge der Amtrak. Die Uhr funktioniert. Es ist sechzehn Minuten nach acht. In all den Jahren, in denen Scarpetta die Uhr in verschiedenen Rückspiegeln gesehen hat, als sie kreuz und quer durch die Stadt fuhr, um sich um die Toten zu kümmern, hat sie nie die richtige Zeit angezeigt. Das Leben in Virginia ist weitergegangen, und niemand hat sich die Mühe gemacht, sie davon in Kenntnis zu setzen.
    »Ich weiß nicht, was ich erwartet habe«, sagt sie und schaut aus dem Seitenfenster. »Vielleicht, dass sie es entkernen und als Lagerhaus, Archiv oder Materialkammer verwenden. Aber gleich abreißen!«
    »Eigentlich ist es das Beste so«, verkündet Marino.
    »Keine Ahnung, warum, aber ich hätte nie gedacht, dass sie es wirklich tun.«
    »Es gehört nicht unbedingt zu den architektonischen Weltwundern«, entgegnet er und ist plötzlich wütend auf das alte Gebäude. »Ein beschissener Betonhaufen aus den Siebzigern. Denk an all die Ermordeten, die dort durchgeschleust worden sind. Die AIDS-Opfer, die Obdachlosen mit Wundbrand. Vergewaltigte, erwürgte und erstochene Frauen und Kinder. Spinner, die von Dächern gesprungen sind oder sich vor einen Zug geworfen haben. Es gibt keine Todesart, die dieses Gebäude nicht gesehen hat. Ganz zu schweigen von all den rosafarbenen Gummileichen in den Bodenwannen der Anatomie. Die fand ich immer am schlimmsten. Weißt du noch, wie man sie an Ketten und Haken in den Ohren aus den Wannen gehoben hat? Alle nackt und rosa wie die drei kleinen Schweinchen und mit angewinkelten Beinen.« Als er die Beine hebt, um es vorzumachen, recken sich seine Knie in der schwarzen Cargohose in Richtung Sonnenblende.
    »Vor nicht allzu langer Zeit hättest du deine Beine niemals so weit hochgekriegt«, stellt sie fest. »Noch vor drei Monaten konntest du kaum die Knie beugen.«
    »Hmm.«
    »Das meine ich ernst. Ich wollte dir schon lange sagen, wie gut du inzwischen in Form bist.«
    »Das Bein heben schafft sogar ein Hund, Doc«, witzelt er, und dank des Kompliments bessert sich seine Laune sichtlich. Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn nicht schon früher gelobt hat. »Vorausgesetzt, der fragliche Hund ist ein Männchen.«
    »Mal ganz ehrlich, ich bin beeindruckt.« Seit Jahren macht sie sich schon Sorgen, dass Marino wegen seiner

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