Herrscherin des Lichts
1. KAPITEL
I n der Darkworld erschwerten der allgegenwärtige Schmutz und Schlamm das Fliegen erheblich. Elfenflügel waren viel zu zart und zerbrechlich, um der Feuchtigkeit standzuhalten, die sich von oben aus der undurchdringlichen Schwärze heraus in einem monotonen Tröpfeln ihren Weg bahnte. Auch für den hartnäckigen Ruß, der alles hier bedeckte, waren sie zu empfindlich – das galt selbst für fühlende Wesen, die es wagten, die Grenze dieser Welt zu überschreiten.
Ayla kniete sich hin und suchte den morastigen Betonboden nach Spuren ab, die ihr Opfer bei seiner Flucht hinterlassen haben könnte. Sie hatte keine Schwierigkeiten gehabt, den Werwolf bis hierher zu verfolgen. Die einfältige Kreatur hatte nicht einmal bemerkt, dass ihr jemand auf den Fersen war. Und Aylas Flügel, keineswegs zarte, sondern kräftige Schwingen, deren ledrige Oberfläche beinahe an menschliche Haut erinnerte, durch dicke Knochen stabil und schwer, hatten ihr die nötige Geschwindigkeit verschafft, um an ihm dranzubleiben, als er durch die Tiefen der Darkworld stürmte. Aber ihr Flügelschlagen war nicht unbemerkt ge blie ben. Wäh rend sie dem Wer wolf nach ge jagt war, hat te wiederum etwas anderes ihre Fährte aufgenommen.
Sie konnte hören, wie es sich hinter ihr in der Dunkelheit an sie heranpirschte. Was auch immer es war, es hatte ebenfalls Flügel. Gefiederte, wenn sie das Rauschen richtig deutete, das von den Tunnelwänden widerhallte wie weit entferntes leises Donnergrollen. Wahrscheinlich dachte es, sie würde das Geräusch nicht wahrnehmen. Oder könne es nicht.
Der eisige Schauer, der ihren Rücken hinablief, hatte wenig mit der kalten Luft zu tun, die in zugigen Böen durch die Tunnel fegte. Ayla wusste, was ihr gefolgt war. Wie oft hatte sie gehört, wie in den Übungsräumen der Assassinengilde hinter vorgehaltener Hand über das Ungeheuer gemunkelt wurde. Es war ein Todesengel.
Die Geschichten waren zu zahlreich, um Wahrheit von Fiktion zu trennen. Einige behaupteten, ein Engel habe die Macht der Abwesenden Götter. Andere wiederum vertraten die Ansicht, sie seien nicht mächtiger als Elfen oder Feen. Und manche bestanden darauf, dass ein einziger Blick in ihr Antlitz für jedes Wesen den Tod bedeutete, ob sterblich oder Elf. Einmal, nicht lange nachdem Ayla ihre Ausbildung in der Gilde begonnen hatte, wurde ein Assassine vermisst. Wenig später fand man seinen Körper, von seinem eigenen Schwert aufgespießt, seine Flügel brutal vom Rücken abgerissen. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen, obwohl Garret, ihr Mentor, versuchte, ihr die Sicht zu versperren, um sie vor dem grauenhaften Anblick zu schützen. Die tiefen, groben Wunden in der aschfahlen Haut des Elfen sahen nicht aus wie Schnitte, sondern wiesen darauf hin, dass er wie von Krallen riesiger Pranken regelrecht zerfetzt worden war. Der letzte tödliche Hieb musste eine Gnade für den Unglücklichen gewesen sein.
Was auch immer die Todesengel waren, sie hatten nicht viel übrig für andere unsterbliche Geschöpfe.
Das Blut pochte in ihren Adern, als Ayla sich dazu zwang, ihre Jagd auf den Werwolf fortzusetzen. Verfolgt oder nicht, sie hatte einen Auftrag zu erfüllen. Bis der Todesengel angriff, würde sie seine Anwesenheit einfach ignorieren. Sie schloss die Augen, um die Fähigkeiten einzusetzen, die sie während ihrer Ausbildung erworben hatte. Ayla konzentrierte sich und suchte mit ihren vom Licht unabhängigen Sinnen die Umgebung ab. Riechen konnte sie den Wolf nicht, seine Fährte wurde durch den penetranten Gestank des Abwassers überdeckt. Hören auch nicht. Das aufgeregte Summen ihrer Fühler, eine unwillkürliche Reaktion auf die innere Anspannung, zusammen mit dem Flügelrauschen des Todesengels in der Dunkelheit hinter ihr ließen alle anderen, weiter entfernten Geräusche untergehen. Vorsichtig streckte sie die Hände aus und betastete, mit noch immer geschlossenen Augen, die Tunnelwand. Tiefe Löcherklafften darin, und aus ihnen entwich in dünnen Schwaden eine verblassende Wut. Aylas Finger berührten flüchtig die Reste dieser Energie, und in ihrem Geist flackerte ein roter Lichtfunke auf. Der Wolf hatte diesen Weg genommen.
Sich langsam wieder aufrichtend, befühlte sie die anderen Wände. Hier befand sich ein Blutspritzer, ein neongrelles Aufleuchten von Schmerz hinter ihren geschlossenen Augenlidern. Unschuldiges, einfaches Blut. Hier unten würde sie auf eine Leiche stoßen.
Geduckt bewegte sie sich vorwärts durch den
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