Stauffenbergs Gefaehrten
Vorwort
Ein junger Mann allein im Gebirge, vor sich eine eisige weite Fläche und einen schwer zu erreichenden Gipfel â so sehen wir ihn auf einem Sepia-Foto aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der da sitzt, den Arm leicht auf dem Knie abgestützt, ist entspannt und angespannt zugleich. Er wartet auf etwas, er denkt nach, er macht eine Pause.
Konkret ist es der Offizier Friedrich Karl Klausing, der sich während einer Winterkampfübung seines Ausbildungslehrgangs auf der Trögel-Hütte in der Nähe von Garmisch-Patenkirchen befand. Aber dieser Moment der Einsamkeit und des konzentrierten Wartens trifft auf fast alle Personen zu, die wir in diesem Buch porträtieren. Es sind zehn Personen aus dem Kreis oder dem Umfeld jener Verschwörer, die einen Staatsstreich zur Entmachtung des NS-Regimes planten, der mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beginnen sollte. Alles, was sie planten und taten, war durch einsame Entscheidungen und unsichere Erfolgsaussichten gekennzeichnet.
Wer damals bereit war, gegen den Strom seiner Zeit zu stehen und sein Leben aufs Spiel zu setzen, »war zur Einsamkeit im eigenen Volk verurteilt«, betonte der frühere polnische Botschafter Janusz Reiter am 20. Juli 2012 in seiner Gedenkrede im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Tatsächlich verkörperten die hier Porträtierten mit ihrem Vorhaben nicht den Willen ihres Volkes, sie konnten, selbst bei Gelingen, nicht einmal auf Zustimmung rechnen. Sie wurden nicht vom Ausland gestützt und ermutigt. Sie waren allein.
Zwar gab es unter ihnen ein teilweise erstaunliches Netzwerk von familiären, berufsbezogenen, freundschaftlichen Verbindungen, die wir in vielen der Porträts auch nachzeichnen können. Wer hinzukam, wurde in der Regel von einem Freund, Vorgesetzten, Verwandten oder Nachbarn angesprochen. Wer aber zusagte, riskierte viel, nicht nur für sich selbst, sondern auch für sein gesamtes soziales Umfeld.
Die meisten derjenigen, die wir hier vorstellen, sind den heutigen Zeitgenossen kaum bekannt. Damit geht es ihnen so wie circa 180 Personen allein aus dem Kreis des militärischen Widerstands, die zwischen dem 20. Juli 1944 und dem 8. Mai 1945 hingerichtet wurden â einige starben durch Selbstmord, um nicht unter der Folter in die Gefahr zu geraten, andere Mitverschwörer zu verraten. Wir haben zehn ausgewählt, doch auch die anderen verdienten das Interesse nachfolgender Generationen und sind es wert, nicht vergessen zu werden. Ihr persönlicher Anteil am Staatsstreich war höchst unterschiedlich. Einige standen im Zentrum der militärischen Umsturzplanungen, andere knüpften Kontakte zur zivilen Opposition. Was sie einte, waren die Gegnerschaft zum NS -Regime und der Wille, etwas zu tun. Das Interesse am Schicksal dieser Gruppe aber war immer merkwürdig gering. Als Vorbild schien sie nicht geeignet. Sei es, weil so viele aus diesem Kreis Militärs waren, denen man nicht traute; sei es, weil einige â keineswegs alle â früher selbst Anhänger des Nationalsozialismus gewesen waren, deren Geschichte mehr als zweifelhaft erschien; sei es, weil etliche Adlige darunter waren, mit denen man sich auch schwer identifizieren konnte. In der frühen Bundesrepublik spielte eine Rolle, dass der moralische Druck eines »anderen Deutschlands« in einem Volk von Schuldigen, Mitläufern oder doch von Menschen, die weniger gewagt hatten, als störend und unangenehm empfunden wurde.
Nicht zuletzt hatte das Misslingen des Attentats zusätzlich bittere Folgen für das Ansehen der Akteure im Nachhinein. Wer an so einem historischen Wendepunkt verliert, scheitert doppelt: Er scheitert in der Wirklichkeit, und er verliert auch den Respekt, dass es überhaupt möglich war, die Tat zu wagen. Auf der politischen Linken konnte schon deswegen wenig Interesse und Mitgefühl erweckt werden, da ja auch die eigenen Opfer in den Konzentrationslagern, vor dem Volksgerichtshof, in früher Verfolgung, in der Emigration und im Exil kaum Gegenstand öffentlicher Trauer waren. In der DDR wurde dieses Erbe der »Opfer des Faschismus« zwar gepflegt, aber der militärische Widerstand wurde doch lange eher auf der Seite der »Täter« verbucht.
Was bei dieser Haltung kollektiver Gleichgültigkeit unter den Tisch fiel, war das Interesse an den einzelnen Personen, ihrer ganz individuellen Geschichte, ihren
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