Stefan Zweig - Gesammelte Werke
gefährlichste ist, er weiß, was ihn erwartet, aber gerade die Gefahr stählt sein Gewissen. »Ist es tatsächlich nötig, wie die Volksweisheit sagt, den Krieg im Frieden vorzubereiten, so ist es nicht minder nötig, den Frieden im Krieg vorzubereiten. Diese Aufgabe scheint mir jenen zugeteilt, die sich selbst außerhalb des Gefechtes befinden und die durch ihr geistiges Leben nähere Verbindung mit dem Weltganzen haben – diese kleine Laienkirche, die heute besser als die andere ihren Glauben an die Einheit des menschlichen Gedankens bewahrt hat und für die alle Menschen Söhne des selben Vaters sind. Bringt es diese Überzeugung mit sich, daß wir beschimpft werden, so sind die Beschimpfungen eine Ehre für uns, die wir vor der Zukunft rechtfertigen werden.«
Man sieht: Rolland war sich des Widerspruches im voraus bewußt. Aber die Wut der Angriffe gegen ihn übertrifft in erschreckender Weise alle Erwartungen. Die erste Welle kommt aus Deutschland. Die Stelle im Briefe an Gerhart Hauptmann: »Seid ihr Enkel Goethes oder Attilas?« und einige andere finden zorniges Echo. Ein Dutzend Professoren und literarische Schwätzer fühlen sich sofort bemüßigt, die französische Anmaßung zu »züchtigen«, und in der »Deutschen Rundschau« enthüllt ein engstirniger Alldeutscher das große Geheimnis, daß der Johann Christof unter der Heimtücke von Neutralität der gefährlichste Angriff Frankreichs auf den deutschen Geist gewesen sei.
Aber diesen Wutausbrüchen geben die französischen nichts nach, sobald der Aufsatz »Au-dessus de la Mêlée« oder eigentlich bloß die Kunde davon bekannt geworden war. Denn französische Blätter durften zunächst – wer versteht dies heute noch? – dieses Manifest gar nicht abdrucken; die ersten Fragmente lernte man aus den Angriffen kennen, die Rolland als einen Verderber des Patriotismus an den Pranger stellten, eine Aufgabe, vor der Professoren der Sorbonne und Historiker von Ruf nicht zurückschreckten. Aus den einzelnen Angriffen wurde bald eine systematische Kampagne, statt Zeitungsartikel erschienen Broschüren und schließlich sogar das dicke Buch eines Hinterlandshelden mit tausend Beweisen, Photographien, Zitaten – ein ganzes Dossier, das seine Absicht gar nicht verhehlte, Material für einen Prozeß zusammenzustellen. Die niedrigsten Verleumdungen werden nicht gespart, wie die, Rolland sei während des Krieges dem deutschen Verein »Neues Vaterland« beigetreten, er sei Mitarbeiter deutscher Zeitungen, sein amerikanischer Verleger ein Agent des Kaisers, eine Broschüre beschuldigt ihn der bewußten Fälschung von Daten: und zwischen diesen offen ausgesprochenen Verleumdungen schimmern zwischen den Zeilen noch gefährlichere. Alle Zeitungen, mit Ausnahme einiger kleiner radikaler Blätter, schließen sich zusammen zu einem Boykott, keine Pariser Zeitung wagt eine Berichtigung zu bringen, triumphierend verkündet ein Professor: »Cet auteur ne se lit plus en France« , »dieser Autor wird in Frankreich nicht mehr gelesen«. Ängstlich rücken die Kameraden von dem Verfemten ab, einer seiner ältesten Jugendfreunde, der »ami de la première heure«, jener »Freund von der ersten Stunde«, dem Rolland eines seiner Werke gewidmet hatte, versagt in diesem entscheidenden Zeitpunkt und läßt ein schon vorbereitetes, schon gedrucktes Buch über Rolland ängstlich einstampfen. Auch der Staat zielt immer schärfer auf den Unerschrockenen hin: vergeblich sendet er seine Agenten um »Material«, und in einer Reihe von »Defaitistenprozessen« visiert er deutlich Rolland, dessen Buch der Tiger der Anklageprozesse, Leutnant Mornet, öffentlich »abominable« nennt. Nur die Autorität seines Namens, die Unantastbarkeit seines offenen Lebens, die Einsamkeit seines Kampfes, die sich nie in unreine Gemeinschaft verstrickt, machen den Angebern und Hetzern den wohlbereiteten Plan zunichte, Rolland neben Abenteurern und kleinen Spionen auf der Anklagebank zu sehen.
Mit einer gewissen Mühe – all dieser Irrsinn war ja nur in der überreizten Atmosphäre einer Katastrophenpolitik verständlich – vermag man heute aus jenen Broschüren, Büchern und Pamphleten zu rekonstruieren, was das patriotische Verbrechen Rollands in der Mentalität jener Menschen damals gewesen ist. Aus den eigenen Werken vermöchte auch das phantasievollste Gehirn sich einen »Cas Rolland« , eine »Affäre« nicht mehr zu erklären und am wenigsten den Fanatismus der ganzen französischen Geistigkeit gegen
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