Stefan Zweig - Gesammelte Werke
seiner Komödie Liluli , tanzen in verschiedenen Uniformen hüben und drüben unter der Peitsche des Negers Patriotismus den gleichen indianischen Kriegstanz: die deutschen Professoren und die der Sorbonne haben eine erschreckende Ähnlichkeit in ihren logischen Sprüngen und die Haßgesänge eine groteske Gleichheit des Rhythmus und der Konstruktion.
Das Gemeinsame aber, das Rolland zeigen will, soll zugleich eine Tröstung sein. Die Worte der menschlichen Erhebung sind freilich schwerer zu erspähen, als jene des Hasses, denn die freie Meinung muß durch einen Knebel sprechen, während die Lüge durch die Megaphone der Zeitungen dröhnt. Mühsam muß man die Wahrheit und die Wahrhaftigen suchen, weil der Staat sie versteckt, aber die beharrlich spürende Seele findet sie bei allen Völkern und Nationen. An Beispielen, Büchern und Menschen, deutschen wie französischen, beweist Rolland in diesen Aufsätzen, daß hüben und drüben, sogar oder gerade in den Schützengräben, ganz brüderliches Empfinden bei Tausenden und Abertausenden herrscht. Er veröffentlicht Briefe deutscher Soldaten neben denen französischer: sie sind in der gleichen menschlichen Sprache geschrieben. Er erzählt von der Feindeshilfe der Frauen und siehe: es ist die gleiche Organisation des Herzens inmitten der grausamen der Waffen. Er publiziert Gedichte von hüben und drüben: sie vereinen sich im Gefühl. Wie er einst in seinen »Biographien der Helden« den Leidenden der Welt zeigen wollte, daß sie »nicht allein seien, sondern die Größten aller Zeiten mit ihnen«, so sucht er denen, die inmitten der Tollheit sich in manchen Stunden selbst für Ausgestoßene halten, weil sie nichts von den gehässigen Empfindungen der Zeitungen und Professoren in sich fühlen, ihre unbekannten Brüder im Schweigen bekannt zu machen – wieder bemüht, die unsichtbare Gemeinde der freien Seelen zu vereinen. »Das gleiche Glück«, schreibt er, »das wir in diesen zitternden Märztagen beim Anblick der ersten aufschießenden Blumen empfinden, ich fühle es auch, wenn ich die zarten und kraftvollen Blüten menschlichen Mitleids die Eiskruste des Hasses Europas durchdringen fühle. Sie bezeugen, daß die Lebenswärme fortdauert und nichts sie zerstören kann.« Unerschütterlich setzt er »l’humble pèlerinage« , die »demütige Pilgerschaft« fort, bemüht, »unter den Ruinen die letzten Herzen zu entdecken, die dem alten Ideal der menschlichen Brüderschaft getreu blieben. Welche melancholische Freude, sie zu entdecken und ihnen zu Hilfe zu kommen.« Und um dieses Trostes, um dieser Hoffnung willen gibt er sogar dem Krieg, dem seit seiner frühesten Kindheit gefürchteten und gehaßten, einen neuen Sinn: »Der Krieg hat den schmerzvollen Vorteil gehabt, die Geister, die sich dem nationalen Hasse verweigern, auf der ganzen Welt zu vereinigen. Er hat ihre Kraft gestählt, zu einem ehernen Block, ihre Willen zusammengeschlossen. Wie doch jene sich täuschen, die meinen, die Ideen der Brüderlichkeit seien erstickt… Ich zweifle nicht im mindesten an der zukünftigen Einheit der europäischen Gemeinschaft. Sie wird wahr werden. Und der Krieg von heute ist nur ihre blutige Taufe.«
Samariter der Seelen, sucht er so die Verzagten mit Hoffnung, dem Brot des Lebens, zu trösten. Vielleicht über seine eigenste innerste Meinung hinaus kündet er seine Zuversicht: und nur wer den Hunger der Zahllosen, in den Kerker eines Vaterlandes, hinter die Gitter der Zensur Gesperrten kannte, wird ermessen, was ihnen diese Manifeste des Glaubens, dies endlich vernommene Wort ohne Haß, diese Botschaft der Brüderlichkeit damals bedeutet haben.
Die Gegner
D aß in einer Zeit der Parteien keine Bestrebung undankbarer sein werde, als die zur Unparteilichkeit, darüber gab sich Rolland von allem Anbeginn keinem Zweifel hin. »Die Kämpfer sind heute nur in einem einig: alle jene zu hassen, die sich weigern, mitzuhassen. Wer nicht delirieren will wie die andern, wird verdächtig. Und in diesen Zeiten, da die Justiz sich nicht Zeit nimmt, Prozesse gründlich zu verfolgen, ist jeder Verdächtige schon ein Verräter. Wer darauf besteht, inmitten des Krieges den Frieden zwischen den Menschen zu verteidigen, der muß wissen, daß er seinen Glauben, seinen Namen, seine Ruhe, sein Ansehen und selbst seine Freundschaften aufs Spiel setzt. Aber was wäre eine Überzeugung wert, für die man nichts wagen wollte?« Rolland weiß also, daß der Platz zwischen den Fronten der
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