Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Parteilichkeit der romanischen Presse und gegen den Krieg. Claude de Maguet begründet die »Tablettes« , die durch kühne Beiträge und die Zeichnungen Masereels das lebendigste Blatt werden, das die Schweiz gesehen. Eine kleine Insel der Unabhängigkeit entsteht, der alle Windrichtungen der Welt manchmal Grüße zuwehen aus der Ferne: hier allein spürte man europäische Luft inmitten des Blutdunstes.
Das Wunderbarste dieser Sphäre aber war, daß dank Rolland auch die feindlichen Brüder von dieser geistigen Gemeinschaft nicht ausgeschlossen waren. Während sonst jeder, angesteckt von der Hysterie des Massenhasses oder aus Furcht vor Verdächtigungen, selbst seinen vormals brüderlichen Freunden aus Feindesland wie Pestkranken auswich, wenn er ihnen zufällig auf der Gasse in neutralem Lande begegnete, während Verwandte nicht wagten, einander brieflich nach Leben und Sterben des eigenen Blutes zu fragen, hat Rolland nicht einen Augenblick seine deutschen Freunde verleugnet. Im Gegenteil, er hat die Treuen unter ihnen nie mehr geliebt als in der Zeit, da es gefährlich war, sie zu lieben. Öffentlich hat er sich zu ihnen bekannt, ihnen Hand und Brief geboten; seine Worte des Bekenntnisses zu ihnen werden dauern: »Ja, ich habe deutsche Freunde wie ich französische, englische, italienische Freunde aus allen Rassen habe. Sie sind mein Reichtum, ich bin darauf stolz und ich bewahre ihn mir. Hat man das Glück, in der Welt loyalen Seelen begegnet zu sein, mit denen man seine intimsten Gedanken teilt, mit denen einen ein brüderliches Band verknüpft, so ist dieses Band heilig und gerade die Stunde der Probe darf es nicht zerreißen. Wie feige wäre der, der sich nicht zu ihnen bekennen würde, gehorsam dem frechen Verlangen einer öffentlichen Meinung, die kein Recht hat über unser Herz… Wie schmerzvoll, ja wie tragisch solche Freundschaften in solchen Augenblicken sind, werden später einmal Briefe zeigen. Aber gerade dank ihrer konnten wir uns gegen den Haß verteidigen, der noch mörderischer ist als der Krieg, denn er ist eine Vergiftung seiner Wunden und schädigt ebenso den Getroffenen wie jenen, der ihn entsendet.«
Unendlich ist, was Rolland seinen Freunden und den zahllosen unsichtbaren Gefährten im Dunkel mit dieser seiner mutigen und freien Haltung gegeben hat. Ein Beispiel all jenen vorerst, die zwar gleicher Gesinnung waren, aber verstreut irgendwo im Dunkel, die erst jenen Kristallisationspunkt brauchten, um ihre Seelen zu formen und rein zu bilden. Gerade für die noch nicht Selbstsichern bedeutete diese vorbildliche Existenz eine wunderbare Befeuerung durch die aufrechte Haltung, die jeden Jüngeren beschämte; alle waren wir stärker, freier, wahrer, vorurteilsloser in seiner Nähe; das Menschliche, geläutert von seiner Glut, schlug als Flamme empor, und was uns band, war mehr als der Zufall gleicher Gesinnung, es war eine leidenschaftliche Erhobenheit, manchmal gesteigert zu einem Fanatismus der Verbrüderung. Daß wir gegen die Meinung, gegen das Gesetz aller Staaten an einem Tisch saßen, Wort und Vertrauen arglos tauschten, daß unsere Kameradschaft aufgetan war aller Verdächtigung, machte sie nur glühender, und in manchen – unvergeßlichen – Stunden empfanden wir in einer reinen Trunkenheit das unerhört Einzige unserer Freundschaft. Wir zwei Dutzend Menschen in der Schweiz, Franzosen, Deutsche, Russen, Österreicher, Italiener, gehörten zu den ganz wenigen unter den hundert Millionen, die sich hell und ohne Haß ins Auge sahen, die innersten Gedanken tauschten, – wir, die kleine Schar in seinem Schatten, waren damals Europa, unsere Einheit – ein Staubkorn im Weltsturm – vielleicht das Samenkorn künftiger Verbrüderungen. Wie stark, wie beglückt haben wir das in manchen Stunden empfunden und wie dankbar vor allem! Denn ohne ihn, ohne das Genie seiner Freundschaft, das Bindende seiner Natur, das mit zarter, wissender und gütiger Hand uns verknüpfte, hätten wir nie die Freiheit, die Sicherheit unseres Wesens gefunden. Jeder hebte ihn anders, und alle verehrten ihn gleich: die Franzosen den reinsten geistigen Ausdruck ihrer Heimat, wir den wunderbaren Gegenpol unserer besten Welt. In diesem Kreise der Menschen um ihn war ein Gefühl der Gemeinschaft wie in jeder Gemeinde einer beginnenden Religion; gerade die Feindschaft unserer Nationen, das Bewußtsein der Gefahr, drängte uns in einen Überschwang der Freundschaft, und das Vorbild des mutigsten und freiesten Menschen
Weitere Kostenlose Bücher