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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Zeit um zwei Jahrzehnte vorausgekämpft hat. Daß er allein steht gegen fast die ganze Nation, macht ihn nicht irre, er kennt Chamforts Wort: »Es gibt Zeiten, da die öffentliche Meinung die schlechteste aller Meinungen ist.« Und gerade der maßlose Zorn, die hysterische, schreiende und geifernde Wut seiner Gegner bestärkt das Gefühl seiner Sicherheit, weil er in diesem Geschrei nach der Gewalt die innere Unsicherheit ihrer Argumente fühlt. Lächelnd sieht er herab auf ihren künstlich überhitzten Zorn und fragt mit seinem Clerambault: »Euer Weg ist, sagt ihr, der bessere, der einzig gute? Nun, so geht ihn und laßt mir den meinen. Ich zwinge euch nicht, mir Gefolgschaft zu leisten, ich zeige nur, wohin ich gehe. Was regt euch daran so auf? Solltet ihr am Ende fürchten, daß ich recht habe?«

Die Freunde
    E ine Leere war nach den ersten Worten um den Mutigen entstanden. Es bestand – wie Verhaeren so schön sagte – »Gefahr, ihn zu heben«, und die meisten scheuten die Gefahr. Älteste Freunde, die von Jugend auf sein Werk und seinen Charakter kannten, ließen ihn im Stich, leise rückten die Vorsichtigen von ihm ab, die Zeitungen, die Verleger versagten ihm die Gastlichkeit – keiner, oder fast keiner gerade der ältesten Freunde wagte ihm offen zur Seite zu stehen. So schien Rolland einen Augenblick allein. Aber – wie er im Johann Christof sagt – »eine große Seele ist niemals allein. So verlassen sie von allen Freunden sein mag, schließlich schafft sie sich sie selbst und strahlt um sich einen Kreis jener Liebe, deren sie selber voll ist«.
    Die Not, die Goldprobe der Gewissen, hat ihm Freunde genommen, aber auch Freunde gegeben. Freilich, man hört ihre Stimmen kaum im Gelärm der Gegner. Denn die Kriegstreiber haben alle öffentliche Macht in ihren Händen, sie brüllen ihren Haß durch die Megaphone der Tageszeitungen, die Freunde können nur behutsam ein paar abgedämpfte Worte in kleinen Blättchen der Zensur abringen. Die Feinde sind eine kompakte Masse, wie ein Schwall stürzen sie nieder (um ebenso auch wieder in den Morast des Vergessens zu versickern), die Freunde kristallisieren sich langsam und verborgen um seine Idee, aber sie dauern und werden immer klarer an seinem Element. Die Feinde sind ein Rudel, ein Regiment, blind hinstürmend auf eine Parole, die Freunde eine Gemeinschaft, still wirkend und nur gebunden durch Liebe.
    Die Freunde in Paris haben das schwerste Los. Sie können nur unsichtbar, gleichsam durch magische Zeichen sich ihm verbinden: die Hälfte ihrer Worte und die Hälfte der seinen an sie verliert sich an der Grenze. Aus belagerter Festung grüßen sie den Befreier, der ihre Ideen, ihre verschlossenen und verbotenen, frei vor der Welt sagt, und sie können die Ideen nur verteidigen, indem sie ihn selbst verteidigen. Amedé Dunois, Fernand Deprès, Georges Pioch, Renaitour, Rouanet, Jacques Mesnil, Gaston Thiesson, Marcel Martinet, Severine haben mutig dem Verleumdeten in seinem Vaterlande zur Seite gestanden, eine tapfere Frau, Marcelle Capy, hob die Fahne und nannte ihr Buch »Une voix de femme dans la mêlée« . Durch die unendlichen Wogen des Blutmeeres getrennt, blickten sie zu ihm wie zu einem fernen Leuchtfeuer auf sicherem Felsen und deuteten ihren Brüdern das verheißungsvolle Licht.
    In Genf aber bildete sich eine kleine Gruppe junger Dichter um ihn, die seine Schüler waren und seine Freunde wurden, die Kraft gewannen aus seiner Kraft. Der erste unter ihnen, P. I. Jouve, der Dichter der pathetischen Versbände »Vous êtes des hommes« und »Danse des morts« , glühend vor Zorn und vor Ekstase der Güte, leidend bis in den letzten Nerv an der Ungerechtigkeit der Welt, ein auferstandener Olivier, paraphrasiert in Gedichten den Haß gegen die Gewalt. René Arcos, der gleich ihm den Krieg gesehen in seinem Schauer und ihn haßte gleich seinem Freunde, klarer in seiner Umfassung des dramatischen Augenblicks, besonnener, aber rein und gütig wie Jouve, erhebt das Bildnis Europas; Charles Baudouin die ewige Güte; Frans Masereel, der belgische Holzschneider, gräbt in Platten seine allmenschliche Klage, grandioser Bildner der Zeit, menschlicher in seinen gezeichneten Protesten als alle Bücher und Bilder; Guilbeaux, der Fanatiker des sozialen Umschwungs, Kampfhahn gegen jede Macht, gründet eine Monatsschrift »Demain« , die einzig wahre europäische, ehe sie ganz im russischen Gedanken unterging; Jean Debrit, in seiner »Feuille« , kämpft gegen die

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