Stefan Zweig - Gesammelte Werke
einwiegend, hält ihn lautlos umfangen. Ihre Hände streichen immer aufs neue zitternd über sein Haupt, seinen Leib. Endlich blickt sie ihn an, in ihrem Auge glänzt ein fremdes, glückseliges Licht, wie sie gleichsam in singender Klage zu ihm spricht):
Mein Kind, du mein weltverlorenes Kind,
Ach, wärst du doch niemals von mir gegangen
Zu den Menschen, die starr wie die Steine sind!
Oh, du Lieber, du Guter, du spät Belehrter,
Mein Herzgewiegter, mein Heimgekehrter
Ruh aus nun, du Lieber, am Herzen ruh aus,
Ich habe dich ja wieder, spür Blut dich im Blut,
Väterlich hält dich mit Stille das Haus,
Mütterlich warm mein Arm dich gefangen.
Laß dir streicheln die Stirn, laß dir schmeicheln das Haar
Wie einstens, wenn in dir ein Wehes war,
Und das Wort, das harte, das törige Wort,
Sieh, schon streichts die Hand von den Schläfen dir fort.
JEREMIAS (mit leisem Erschrecken):
Oh, Mutter, wie deine Hände doch schmal sind,
Oh, Mutter, wie deine Wangen doch fahl sind,
Dein Herz ward so still, deine Lippen so blaß.
Bist du krank denn, Mutter, sag, fehlt dir etwas?
DIE MUTTER:
Was mir fehlte, warst du allein,
All, was mich quälte, dein Fernesein.
Als hier vom Haus
Dein letzter Schritt im Gang verklang,
Da ward herzinnen mir so schwach,
Wie jenes Tags vor Jahr und Jahr,
Als ich dich in die Welt gebar
Und vieler Monde volle Frucht
Aus meinem süß beschwerten Schoß
Mit einmal schmerzhaft von mir fiel
Und fast das Herz mir stille stand,
Da es nicht mehr dies andre fand,
Das mit ihm schwang im Wechselspiel. –
Oh, jene Stunde banger Qual,
Da du zuerst dich mir entrafft,
Als neue Not und Mutterschaft
Durchlebt ich sie nun abermal,
Oh, Tag um Tag und Nacht für Nacht,
Und du weißt nicht, wie Sehnsucht uns müde macht.
JEREMIAS:
Oh, Mutter, so hast du um mich gelitten,
Und ich stieß durch die Straßen, starrfühlend wie Stein!
Oh, Mutter, wie kann ich dir dies abbitten,
Oh, Mutter, wie kannst du mir dies verzeihn!
DIE MUTTER:
Und wenn ich so mit mir allein
Im leeren Haus verlassen lag,
Träumt ich dir all deine Träume nach.
Bei Tag
Da duckten sie sich, da hockten sie stumm
Im grauen Gespind und Gebälk herum.
Doch kaum, daß am Dach die Sonne verblich,
Da regten sie sich,
Wie Eule, Unke und Fledermaus
Flatterten sie schwarz aus den Schatten aus.
Sie schlichen
Und strichen
Um meine Schläfen mit Graun und Geraun.
Sie hockten
Sich schwer auf die Brust, daß der Atem mir stockte.
Sie hackten
Und nagten
Kaltgleitende Schatten mir schwarz auf der Stirn
Und fraßen den Schlaf vom Herzen und Hirn.
Oh, wie sie mich quälten, die widrigen Tiere,
Die wirrichten Träume, die geilen Vampire,
Bald kühlten und bald durchschwülten sie mich,
Bis tiefst zu innen aufwühlten sie mich,
Daß ich, wenn endlich der Morgen anbrach,
Entkräftet im Schweiß meines Leibes lag,
Von Schauer und Traum
Ganz ausgehöhlt wie ein uralter Baum.
JEREMIAS:
Oh, Mutter, oh, Mutter, was tat ich dir an!
Und ich strich die Straßen, fremd, unbedacht!
Mit Jahren laß jede Nacht mich entsühnen,
Die du um meinetwillen verwacht!
Jetzt, jetzt erst hebt ja mein Leben an,
Seit ich heim in deine Vergebung mich fand,
Nun weiß ich erst, daß die wirrichte Welt
Der Liebe nicht auch nur ein Tausend enthält,
Als das milde Kreuz deiner Arme umspannt.
DIE MUTTER:
Oh, mein Sohn, mein Kind, mein Jeremia,
Oh, ahntest du, was du an Tröstung gibst,
Wenn ich wieder erfühle, daß du mich liebst,
Oh, daß du doch immer mir nahe bliebst,
Du mein brennender Trost, mein seliges Licht,
Du mein Erdenbrot, du mein Gottesdank,
Genesen entglüht mir schon deinem Gesicht!
Oh, höre, ich beschwöre dich,
Jeremias, verlaß mich nicht,
Bleib mir jetzt nah, es währt nicht lang,
Bleib da bei mir, Jeremia!
JEREMIAS:
Was fürchtest du… ich faß dich nicht…
DIE MUTTER:
Nicht lüge, nicht betrüge mich.
Glaubst du, daß ichs nicht innen spür,
Wie sichs mit mir zu Ende neigt.
Ich fühls: der Tod ist wach in mir!
Und wie in einer Schattenuhr
Ganz unmerklich
Der schwarze Zeiger Strich um Strich
Wandaufwärts schiebt und ründet sich,
So steigt
Mit jedem wachen Atemzug
Das Dunkel tiefer mir ins Blut.
Weh, daß ichs selbst so wissend spür,
Wie ich im wachen Blut einfrier.
JEREMIAS:
Mutter, wie soll ich den Wahn verstehn,
Du willst mich verlassen? Willst von mir gehn?
Bedenke, nun sind
Wir doch einander kaum wiedergewonnen,
Zu neuer Gemeinschaft, Mutter und Kind,
Nun erst hat mein wahrhaft Leben begonnen,
Gott hat nicht vergebens mich heimgesendet
Aus meiner Wirrnis und
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