Stefan Zweig - Gesammelte Werke
nun nicht mehr die einstige terra do exilio , seit es die terra do refúgio seines Königs geworden, und in wenigen Jahren wird es ein Gegenpol europäischer Zivilisation und die Stätte eines glanzvollen und hochgeachteten Hofes. Und nichts zeigt deutlicher die Weltstellung dieses neuen Landes, als daß der Kaiser von Österreich, nach Napoleons Fall der mächtigste Mann Europas, den Thronfolger dieses Reiches, Dom Pedro, nicht für zu gering hält, um ihm eine Schwester Maria Louisens, seine Tochter Leopoldine zu vermählen, die mit größten Festlichkeiten in Rio empfangen wird. Könnte König João seiner eigenen Neigung folgen, so bliebe er zeitlebens in dem neuen Land, dessen Schönheit und zukünftiger Wert ihm wie all den Seinen bald klargeworden ist. Aber das heimische Portugal verlangt, nun da Napoleon von seiner wüsten Insel St. Helena Europa nicht mehr beunruhigen kann, seinen angestammten König eifersüchtig zurück. João gerät in Gefahr, falls er dem immer gebieterischer werdenden Rufe nicht folgt, den Thron seiner Vorfahren zu verlieren. Lange zögert er den Abschied hinaus, aber schließlich geht es nicht länger: 1820 kehrt João VI. nach Lissabon zurück, nachdem er zuvor den Thronerben Dom Pedro zu seinem Stellvertreter in Brasilien ernannt.
König João VI. hat zwölf Jahre in Brasilien residiert, Zeit genug, um zu erkennen, wie stark, wie eigenwillig, wie national das Land mit dem neuen Jahrhundert geworden ist; im tiefsten Herzen vermag er sich der schlimmen Vorahnung nicht ganz zu erwehren, daß eine Personalunion zweier Länder über dreitausend Meilen Ozean auf die Dauer nicht haltbar sein wird. Aus dieser Erkenntnis gibt er seinem Sohn Dom Pedro, den er als defensor perpétuo do Brasil eingesetzt hat, den Rat, im Notfall lieber selbst die Krone Brasiliens sich auf das Haupt zu setzen, ehe irgendein fremder Abenteurer sie an sich reißt. Tatsächlich zeitigt die Abreise des Königs eine nationale Bewegung, welche die independência fordert, und die von dem Thronfolger eher gefördert als gehemmt wird. Nach scheinbarem Widerstand erklärt der junge Ehrgeizige am 7. September 1822, geführt von dem hervorragenden patriotischen Minister José Bonifêcio de Andrada e Silva, dem ersten wirklich brasilianischen Staatsmann, der mit großer geistiger Überlegenheit den Ehrgeiz des Thronfolgers für seine patriotischen Ziele auszunützen weiß, die Unabhängigkeit Brasiliens; am 12. Oktober 1822 wird der bisherige defensor perpétuo als Pedro I. zum Kaiser von Brasilien proklamiert, nachdem er zuvor geschworen, nicht als autokratischer Herrscher, sondern als konstitutioneller Fürst das Land zu regieren. Nach kurzen Kämpfen teils mit treugebliebenen portugiesischen Truppen, teils mit revolutionären Bewegungen, wird die äußere Ruhe im Lande hergestellt; die innere freilich ist schwerer zu erringen. Das brasilianische Unabhängigkeitsgefühl, von den unerwartet raschen Erfolgen berauscht, will noch sichtbarere Triumphe. Auch diesen seinen ersten Kaiser empfindet es noch nicht als den eigenen, den eigentlichen, den wirklich brasilianischen; das Volk kann Pedro I. nicht verzeihen, daß er geborener Portugiese ist, und der Verdacht will nicht verstummen, er würde nach dem Tode seines Vaters versuchen, die beiden Kronen wieder zu vereinigen. Auch versteht Pedro I., mehr Romantiker als Realist, bravourös, aber allzuviel mit erotischen Privatangelegenheiten beschäftigt und den Hof der Willkür seiner Maitresse, der Marquise von Santos, aussetzend, sich nicht bei seinem Volke beliebt zu machen.
Den entscheidenden Stoß gibt der unglückliche Krieg gegen Argentinien, in dem Brasilien seine »cisalpinische Republik« verliert. Im historischen Sinne bedeutet der Ausgang dieses Krieges zwar eher einen politischen Gewinn; durch die Schaffung eines unabhängigen Uruguay ist ein für allemal jeder Konflikt zwischen den beiden mächtigen Schwesternationen Brasilien und Argentinien ausgeschaltet und durch dauernde Freundschaft ersetzt. Aber 1828 sieht das Land nur den Verzicht auf die La-Plata-Mündung, der Brasilien sehnsüchtig seit Jahren zustrebt, und der Kaiser muß diesen Unmut fühlen. Es hilft nichts, daß er 1830, nach dem Tode João VI., die ihm rechtlich zufallende Krone Portugals ausschlägt und damit bekundet, daß er sich eindeutig für Brasilien entschieden habe; er bleibt hier der Fremde, der Ausländer, und immer mehr organisieren sich die nationalen Elemente gegen ihn. Die französische
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