Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Julirevolution gibt seiner Popularität den letzten Rest, denn alles Französische wirkt stimulierend auf die brasilianischen Parlamentarier, die in ihren Reden, Verordnungen und Debatten gewohnt sind, das Pariser Vorbild nachzuahmen, und diese Kopierung des Französischen geht so weit, daß groteskerweise zwei führende brasilianische Politiker sogar Lafayette und Benjamin Constant heißen. Nur rechtzeitige Resignation des unbeliebten Kaisers kann den Thron noch gegen den republikanischen Ansturm retten; so dankt Pedro I. 1831 zugunsten seines Sohnes ab in der richtigen Erkenntnis: Meu filho tem sôbre mim a vantagem de ser brasileiro . Auch bei dieser Abdankung wird wieder die brasilianische Tradition glücklich gewahrt, staatspolitische Umstürze womöglich ganz ohne Blutvergießen und in konzilianter Art zu vollziehen. Still, nicht verfolgt von Haß und Groll, verläßt der erste Kaiser Brasiliens das Land.
Der neue Kaiser Pedro II., o imperador menino , dem Blut nach zugleich ein Habsburger und ein Bragança, ist bei der Abdankung seines Vaters fünf Jahre alt. José Bonifêcio übernimmt für ihn die Regentschaft, und nun beginnt vor und hinter den Kulissen ein wildes Politisieren und Intrigieren. Für Brasilien, das dreihundert Jahre unselbständig und mundtot gewesen, sind die parlamentarischen Rechte und die Pressefreiheit zu neue Dinge, als daß sich nicht alle daran berauschten. Unablässig gehen die Debatten; die politische Erregung bleibt aus bloßer Rede- und Politisierfreude eigentlich ohne äußeren Anlaß – ständig in Hochspannung, eine Partei arbeitet für die Errichtung einer Republik, eine andere sucht den persönlichen Regierungsantritt Pedro II. zu beschleunigen, dazwischen überkreuzen sich persönliche Intrigen. Keine Regierung, keine Partei scheint wirklich stabil. Viermal in sieben Jahren wird der Regent gewechselt, ehe endlich die konservative Partei, um eine gewisse Beruhigung zu erzwingen, 1840 die vorzeitige Majorennitätserklärung Pedro II. durchsetzt. Mit fünfzehn Jahren wird der bisherige imperador menino am 18. Juli feierlich zum Kaiser von Brasilien gekrönt.
Wie wenig Vertrauen die Welt den ständigen Bündeleien und Zänkereien der südamerikanischen Politiker entgegenbringt, zeigt die kühle Aufnahme des geheimen Botschafters, der sofort nach der Thronbesteigung nach Europa abgesandt wird, um für den jungen Kaiser eine Gemahlin von fürstlichem Rang zu suchen. Sein erster Weg geht nach Wien zu den Habsburgern, den nächsten Verwandten des jungen Kaisers. Aber während seinerzeit seinem Vater Pedro I. ohne Zögern eine Erzherzogin aus dem immer reichen Bestände der kaiserlichen Familie zugeteilt wurde, bleibt diesmal der allmächtige Kanzler Metternich abwartend und kühl. Die südamerikanischen Staaten haben durch die Unstabilität ihrer Regierungen, die fortwährenden Putsche ehrgeiziger Generäle und leidenschaftlicher Politiker in Europa viel an Kredit verloren. 1840 denkt man nicht mehr daran, eine Erzherzogin über das unruhige Meer in ein noch unruhigeres Land zu schicken, und selbst unter den Prinzessinnen minderer Kategorie zeigt keine einzige Neigung zu dieser überseeischen Kaiserkrone. Nachdem er ein ganzes Jahr vergeblich in Wien antichambriert, muß der Brautwerber sich zufriedengeben, eine napoletanische Prinzessin mit wenig Schönheit und wenig Geld, dafür aber reicher an Jahren als ihr zukünftiger Gatte, für den jungen Monarchen heimzubringen.
Aber diesmal wie sooft haben die berufsmäßigen Politiker sich in ihren Prognosen geirrt; dieser junge Monarch wird beinahe ein halbes Jahrhundert lang friedlich regieren und eine an sich schwierige Position mit Würde und unter allseitiger Achtung behaupten. Pedro II. ist dem Wesen nach eine kontemplative Natur, eher ein auf den Thron verschlagener Privatgelehrter oder Bibliothekar als ein Mann der Politik oder der Armee. Ein wahrhafter Humanist von anständiger Gesinnung, für dessen Ehrgeiz es höheres Glück ist, einen Brief von Manzoni, Victor Hugo oder Pasteur zu erhalten, als bei militärischen Paraden zu glänzen oder Siege zu erfechten, hält er sich – obwohl äußerlich durch seinen schönen Bart und sein würdiges Auftreten sehr eindrucksvoll – möglichst im Hintergrund und verbringt seine glücklichsten Stunden in Petrópolis bei seinen Blumen oder in Europa mit Büchern und in Museen. Seine persönliche Haltung ist – und damit wirkt er durchaus im Geiste seines Landes – konziliatorisch, und
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