Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Und es bedeutet schon eine besondere Glücksstunde, wenn einer endlich ein einziges gelbes winziges Körnchen in seinem Siebe findet. Davon kann er wieder notdürftig ein paar Tage leben, um so Woche für Woche weiter zu schütteln und zu suchen; es ist ein tragisches, ein verzweifeltes Bemühen geworden, hier noch im angeschwemmten Sande nach Gold zu suchen. Während die garimpeiros , die Diamantensucher ein guter Fund manchmal für Jahre entschädigt, sind diese Franktireurs der Goldjagd schlimmer daran als der ärmste Arbeiter. Goldgewinn ist längst nurmehr in organisierter und kollektiver Weise möglich wie in den modernen Minen von Morro Velho und Espirito Santo, die von englischen Ingenieuren geleitet und von amerikanischen Maschinen bedient werden. Es ist ein ungemein komplizierter, aber aufregend sehenswerter Betrieb, der einen vom Tageslicht tief in die Unterwelt führt; das Gold von Minas hat sich, seit es sie in ihrer Wildheit kennenlernte, vor den Menschen längst in die Felsen verkrochen. Es will sich nicht mehr leicht greifen und fassen lassen, aber in den Hunderten Jahren der Jagd ist der Mensch auch hundertfach geschickter und raffinierter geworden als seine Ahnen. Er hat sich mit der Technik eine wirksame Waffe erfunden, und in tiefen und immer tieferen Stollen arbeiten sich nun stählerne Hände an das boshafte Metall heran; über zweitausend Meter sind die Schächte schon hinuntergewühlt in den Berg, und nicht Minuten, sondern Stunden dauert es, ehe man im Aufzug den untersten Stollen erreicht. Dort geschieht die große Arbeit. Mit elektrischen Bohrern wird das dunkle Gestein abgesprengt und auf Schienenwegen in Karren von Eseln zum Aufzug geschleppt – von armen grauen Eseln, die dort als lebenslänglich Gefangene in den elektrisch erhellten Schächten zu arbeiten und zu schlafen für immer verurteilt sind, auch sie wie die Menschen Sklaven und Opfer des Golds. Nur dreimal im Jahr, zu Ostern, zu Pfingsten, zu Weihnachten dürfen sie, wenn der Betrieb ruht, für einen einzigen Tag in die obere Welt empor, und kaum sie das Sonnenlicht sehen, beginnen die rührenden Tiere jubelnd zu schreien, zu springen und wälzen sich vor Wollust auf dem Rücken aus Freude an dem wirklichen, an dem so lang entbehrten Licht. Aber was in diesen Karren emporgeschafft wird, ist durchaus noch nicht reines Gold. Es ist nur ein grobes Gestein, grau, schmutzig, hart, ein Konglomerat, in dem auch das schärfste Auge nicht einen gelben Schimmer von Gold wahrzunehmen vermöchte. Aber nun fassen die Maschinen mit ihren riesigen Kräften die Klötze, das Gestein wird mit haushohen Hämmern zertrümmert, zerschlagen und so lange zerrieben, bis es eine weiche, vom Wasser ständig durchströmte Masse bildet, die dann durch Siebe geleitet und über vibrierende Tische geführt wird. Immer mehr soll das Metallische von der übrigen wertlosen Masse gesondert werden. Der schon geläuterte, bereits ganz feine Sand wird dann noch- und nochmals durch elektrische und chemische Prozeduren immer genauer gesiebt, bis schließlich nach unzähligen – kaum einzeln zu beschreibenden raffinierten Phasen – das letzte minimalste Stäubchen Gold aus dem Gestein gerettet ist. Nun kann das reine Element in glühenden Schmelztiegeln herausgekocht werden.
Eine Stunde, zwei Stunden hat man all diese mit dem kollektiven Genie zahlloser Erfahrungen ersonnenen Prozeduren angespannt und erregt beobachtet. Man hat Hunderte und sogar Tausende Menschen in dieser riesigen Fabrik gesehen, die Arbeiter im Stollen, im Aufzug, an den Maschinen, die Verlader, die Träger, die Schmelzer, die Heizer, die Ingenieure, die Verwalter. Es dröhnen einem noch die Ohren von dem Donner der niederschmetternden Hämmer, es schmerzen einem die Augen, die zuviel gesehen haben, von dem unablässigen Wechsel von Dunkel, von künstlichem und dann wieder natürlichem Licht. Alles hat man gesehen, nur das Eigentliche noch nicht, das reine Gold, das sichtbare Resultat all dieser phantastischen Mühe. Und man ist ungeduldig zu wissen, wieviel diese Arbeit von den achttausend Menschen, die hier tagtäglich im Werke beschäftigt sind, fördert. Wieviel, welche gewaltigen Massen Goldes die komplizierte Prozedur dieser unübersehbaren Maschinerie und die Leistung all der eingesetzten geistigen, manuellen, chemischen, elektrischen Kräfte als Tageserträgnis an Gold produziert haben. Schließlich bekommt man die Tagesleistung zu sehen, und man erschrickt beinahe, denn es scheint so
Weitere Kostenlose Bücher