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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Gottesgesandte,
Den Stab und schmetterte ihn wider den Stein.
Aufbrachen der Felsen marmorne Flanken,
Wasser netzte die lechzende Lippe,
Kühlung umspülte den staubigen Fuß.
    HELLERE STIMMEN:
    Wann wir müdeten, wurde uns Tröstung,
Wunder durchrauschten den brennenden Tag,
Bittere Bronnen wurden zu süßen,
Würzige Wachteln herblies der Wind,
Und als Hunger feurigen Eisens
Unsere Eingeweide zerriß,
Brach aus dem Morgen blendende Weiße:
Manna fiel nieder, das himmlische Brot!
    JEREMIAS:
    Niemalens aber war Sicherheit uns gegeben. Ewig warf er uns nieder mit seiner heiligen Hand! Immer erneute er die Gefahren seinem Volke! Besinnet sie! Besinnet sie!
    STIMMEN:
    Völker standen
Auf in Waffen,
Neid und Habsucht
Sperrten Wege
Unsrer Fahrt,
Städte schlossen
Turm und Tore,
Speere starrten
Trotz und Tod.
    HELLERE STIMMEN:
    Da gab uns Gott Gewaffen zu Händen
Und in die Herzen die Schärfe des Schwerts,
Wider Tausend gab er uns Stärke,
Wider Zehntausend gab er uns Sieg.
    JAUCHZENDE STIMMEN:
    Posaunen bliesen, es stürzten die Mauern,
Moab zerknickte, Amalek verging.
Mit dem Schwerte schlugen wir Wege
Durch den Zorn der Völker und Zeiten,
Bis unser Herz die Prüfung bestand,
Bis wir ihn fanden, den Acker der Ruhe,
Kanaan, unser verheißenes Land.
Heimat durften die Schweifenden haben,
Segnend lösten wir Gürtel und Schuhe,
Rebe entgrünte dem Wanderstabe,
Israel blühte, und Zion erstand.
    ALLE STIMMEN:
    Immer waren wir Pflüger im Joche,
Immer gebeugt und in Dienstbarkeit,
Doch ewig hat er das Joch uns zerbrochen,
Aus allen Kerkern uns heimbefreit,
Wo immer sie Not und Drängung uns schufen,
Immer hat er uns heimgerufen,
Und unsern Samen zur Blüte erneut!
    JEREMIAS:
    Und nie wird geschehn, daß er unser vergißt.
Bedenket, bedenket,
Daß, wenn er uns niedrigt, daß, wenn er uns kränket,
Dies Leiden nur Brand seiner Liebe ist.
So beugt euch, ihr Brüder, dem Joch in Ergebung,
Segnet die Schickung, so uns geschah,
Leiden ist Prüfung und Prüfung Erhebung,
Erniedrigung macht uns nur gottesnah,
Jeder Sturz führt höher in seine Reiche,
Denn nur die Besiegten wissen um ihn:
Ihr Brüder, auf denn! Auf, ihn zu erreichen!
Auf, Brüder, lasset uns gotteswärts ziehn!
    STIMMEN (ekstatisch):
    Ja, auf, zur Wanderschaft… führe uns an… wie die Väter wollen wir leiden… oh, Auszug und ewige Wiederkehr… auf… auf… hebet an… es ist nahe gen Tag… ziehen wir aus… ziehen wir aus in die Knechtschaft… Gott wird uns erlösen, wie er immer uns erlöset… Alle wollen wir gehen… alle… ja, wir alle…
    DIE STIMME ZEDEKIAS:
    Wehe, wehe! Wer wird mich führen? Nicht lasset mich zurück! Wehe, wehe, wer hebet mich auf?
    JEREMIAS:
    Wes Ruf ist dies?
    STIMMEN:
    Laß ihn… er bleibe… Spreu ist er und verworfen… Du führe uns an, du, Gesegneter… Du sei uns Herr… Laß den Verworfenen…
    JEREMIAS:
    Keiner ist verworfen! Wer rufet, muß erhört werden um unserer aller willen!
    STIMMEN:
    Nicht er… nicht er… Aussatz ist er unseres Volkes… alles Unheils Quelle… Laß den Verstoßenen Gottes… Laß den Verfluchten!
    JEREMIAS:
    Auch ich war ein Verstoßener Gottes, und er hat mich erhört; auch ich war ein Verfluchter, und er hat mich gesegnet! Wo ist er, der aufschrie aus seiner Not, daß ich ihn tröste, wie ich selber getröstet ward?
    STIMMEN:
    Im Dunkel ist er… auf den Stufen… dort, sieh den Gebückten… Gottes Zorn ist auf seinen Hochmut gefallen.
    JEREMIAS:
    Warum naht er nicht? Warum weilet er abseits?
    STIMMEN:
    Sieh doch… seine Sterne sind erloschen… seine Schritte sind irr… er weiß nicht seinen Weg mehr, blind ist er, der Verblendete…
    JEREMIAS (näher tretend, in heißem Erschrecken):
    Zedekia! Mein König!
    ZEDEKIA:
    Bist du es, Jeremias, der mir nahet?
    JEREMIAS:
    Ich bin es, mein König, dein Knecht und Diener Jeremias! (Er beugt sich in die Knie vor dem Könige.)
    ZEDEKIA:
    Wehe, nicht höhne mich, nicht stoße mich fort, wie ich dich von mir stieß! Zu Asche hat dein Wort mich gebrannt, du Gewaltiger, nun schone mein; nicht wirf mich fort, nicht laß mich allein in der Stunde des Schreckens! Sei bei mir, wie du geschworen vor Gottes Antlitz in der Stunde, der letzten, die ich schaute auf Erden.
    JEREMIAS (zu seinen Füßen):
    Ich bin bei dir… mein König Zedekia.
    ZEDEKIA (nach ihm ins Leere tastend):
    Wo bist du? Ich fühle dich nicht!
    JEREMIAS:
    Zu deinen Füßen bin ich, dein Diener und dein Knecht.
    ZEDEKIA (zitternd):
    Nicht höhne mich vor dem Volke, nicht beuge dich dem

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