Steinbrück - Die Biografie
lange Zeit quer: Er lehnte die Überführung privaten Aktienkapitals in Volkseigentum aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ab – wie viele andere in der Union, die sich aus Prinzip schwer damit taten, einer Zwangsenteignung zuzustimmen. So etwas passte eher zum Sozialismus und zur untergegangenen DDR als zu bürgerlichen Parteien.
Für Steinbrück hatte es jedoch damals keine Alternative zur Enteignung mehr gegeben. Sonst wäre es ihm nämlich nicht gelungen, die staatliche Kontrolle über die HRE zu erlangen und so deren Zusammenbruch zu verhindern. Er wollte eben kein deutsches »Lehman Brothers« provozieren. Die HRE war vor der Krise zwar kaum jemandem bekannt, spielte aber wegen ihrer starken Bedeutung im Pfandbriefgeschäft durchaus eine systemische Rolle. Ihr Zusammenbruch hätte zu einer schockartigen Kettenreaktion geführt.
Falls Innenminister Schäuble sich damals durchgesetzt und das Enteignungsgesetz verhindert hätte, wäre Steinbrück als Finanzminister zurückgetreten. Er gab das der Kanzlerin auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Schäuble klar zu erkennen. Am Ende entschied sich Merkel für ihren sozialdemokratischen Krisenmanager und gegen ihren christdemokratischen Innenminister. So etwas würde es in anderen Koalitionen wohl nicht mehr geben, das spürte Steinbrück schon damals.
Selbst im Wahlkampf 2009 kam ihm deshalb kein schlechtes Wort zu Merkel über die Lippen. Seine auffallend geringe Angriffslust gegen die Kanzlerin führte Steinbrück in einem Spiegel -Interview mit Markus Feldenkirchen und Roland Nelles (15.6.2009) auf seine besondere Rolle als Finanzminister zurück. Er trete schließlich mit Merkel auf großen Finanzgipfeln auf, und »wir geben gemeinsam Patronatserklärungen für deutsche Sparer ab«, erklärte er mit Nachdruck und innerer Überzeugung. Außerdem bemühe man sich »gemeinsam um ein gutes Krisenmanagement. Und dann soll ich plötzlich meine ganze Artillerie auf sie richten? Da kommen die Leute doch zu dem Ergebnis: Der Steinbrück ist gaga geworden.« Auch seine öffentlich geäußerte Auffassung, dass Merkel sich in der Krise als »gute Kanzlerin« erwiesen habe, nahm der Finanzminister während des Wahlkampfs 2009 nie zurück. »Ich habe an dem Urteil keine Änderung vorzunehmen.«
Während Steinbrück im Flugzeug auf der letzten Dienstreise von Pittsburgh nach Berlin noch über die gerade abgelaufene Regierungszeit mit der Kanzlerin sinniert, kommt Merkels damaliger Regierungssprecher Ulrich Wilhelm auf ihn zu. Ob er kurz mit in den hinteren Teil der Maschine gehen wolle, um mit den dort sitzenden Medienvertretern zu sprechen? Die Kanzlerin beabsichtige, den Journalisten ein paar abschließende Worte zum G-20-Gipfel zu sagen, so Wilhelm. Und Frau Merkel würde sich natürlich freuen, wenn der Finanzminister mitkäme.
Diese Begegnungen im Regierungsflugzeug sind für die begleitenden Journalisten oft der wichtigste Programmpunkt während der offiziellen Delegationsreisen. Hier bietet sich in der Regel die einzige Möglichkeit, abseits der minutiös durchgeplanten Tagesprogramme länger und ungestört mit der Regierungschefin oder den wichtigsten Ministern zu sprechen. Fast immer sind die se Gespräche vertraulich, also als Hintergrundinformation gedacht – man darf die Politiker später bei der Berichterstattung nicht direkt zitieren. Dieser Nachteil wird allerdings dadurch aufgewogen, dass Merkel und die Regierungsmitglieder in solchen Runden zumeist etwas freier sprechen und nicht nur ihre üblichen Sprachschablonen präsentieren. Hinzu kommt, dass sich auf den Reisen im Laufe der Tage oft eine gewisse Vertraulichkeit einstellt. Außerdem kennt man sich: Die sogenannte »Begleitpresse« der Kanzlerin besteht aus einem festen Stamm ausgesuchter Berliner Politikkorrespondenten. Auch die drangvolle Enge im Besprechungsraum des Flugzeugs – einige Journalisten müssen aus Mangel an Sitzgelegenheiten auf dem Fußboden Platz nehmen – befördert eine Art schicksalhaftes Gemeinschaftsgefühl.
Wenn man wissen will, was die Kanzlerin wirklich über andere Staatschefs, über Parteifreunde oder wichtige politische Vorgänge denkt, dann erfährt man es hier, zumindest andeutungsweise. Denn obwohl sie sich überwiegend vorsichtig ausdrückt, können die Journalisten aus ihrer Mimik und aus ihrer Wortwahl oft die richtigen Schlüsse ziehen. Außerdem verfügt Merkel über eine feine Ironie und die Fähigkeit, das oft gockelhafte Gehabe ihrer meist
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