Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
Vom Netzwerk:
Berlin ganz andere Sorgen als Strukturprobleme oder Subventionsfragen. Wenn er zur vorausberechneten Ankunftszeit um 7.10 Uhr auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel landet, hat sein politischer Schicksalstag begonnen. An diesem Sonntag, dem 27. September 2009, waren über 62 Millionen Bürger zur Wahl des Deutschen Bundestags aufgerufen. Noch in Pittsburgh hatte Steinbrück kurz mit seinen Leuten zu Hause im Willy-Brandt-Haus telefoniert. Die Nachrichten aus der modernen Parteizentrale im Berliner Stadtteil Kreuzberg klangen alles andere als beruhigend. Ausweislich der letzten Umfragen steuerte die SPD auf ein äußerst mageres Ergebnis zu. Nach fast allen Berechnungen würden die Sozialdemokraten klar unter 30 Prozent landen. Wenn überhaupt noch etwas Hoffnung bei ihm keimte, dann nur wegen der auffallend hohen Zahl von Unentschlossenen. Fast ein Viertel der Leute hatte sich laut Umfragen bislang nicht festgelegt. Sie würden ihre Entscheidung wohl erst in der Wahlkabine fällen oder auf dem Weg dorthin. Konnte es also an diesem Sonntag einen »Last-Minute-Swing« zugunsten der SPD geben?
    Im Regierungsflugzeug auf dem Rückweg nach Berlin liegen dicke Mappen aus, prall gefüllt mit frischen Agenturmeldungen und Ausschnitten aus deutschen Zeitungen. Egal wo sich die Spitzenpolitiker heutzutage aufhalten; stets werden sie selbst in der Luft oder in den entferntesten Winkeln der Welt mit einem nie abreißenden Strom aus Meldungen und Presseveröffentlichungen gefüttert. Diese sogenannten »Sonderunterrichtungen« des Bundespresseamts sollen die Regierungsmitglieder immer auf dem aktuellsten Nachrichtenstand halten. Manche der per Fax oder E-Mail gelieferten Artikel werden nur überflogen, andere hingegen Zeile für Zeile studiert. Wichtiger noch als die gedruckten Meldungen, Analysen und Kommentare sind die Zusammenfassungen der Fernsehnachrichten. Wer als Politiker abends zur besten Sendezeit in Millionen Wohnzimmer vordringen kann, der hat es geschafft – zumal im Schlussspurt eines Bundestagswahlkampfs.
    Für Steinbrück ist die Lektüre der »Sonderunterrichtung« auf diesem Rückflug vom G-20-Gipfel alles andere als erbaulich. In den Artikeln der großen Zeitungen dominieren zwei Themen: die bevorstehende Bundestagswahl und die gerade erst beendete Konferenz der G-20. Keines der beiden Themen hebt Steinbrücks Stimmung. Für die SPD daheim sieht es nicht gut aus, und in den »Gipfel«-Berichten der Zeitungen und Nachrichtenagenturen kommt der Finanzminister neben der Kanzlerin nur am Rande vor.
    Im Alltag der Großen Koalition hatte Steinbrück stets akzeptiert, dass Merkel als Regierungschefin die Hauptrolle spielte. Immerhin war es ihm als Finanzminister während der Krise zwischen 2005 und 2009 gelungen, die bedeutendste Rolle im Kabinett neben der Kanzlerin einzunehmen. Im letzten Drittel der Legislaturperiode entwickelte sich der Absturz an den Finanzmärkten zum alles beherrschenden Thema. Schon allein deshalb wurde Steinbrück überall als tragende Säule der schwarz-roten Bundesregierung wahrgenommen. Eigentlich war er so etwas wie der gefühlte Vizekanzler. Neben ihm stand Frank-Walter Steinmeier als Außenminister zunehmend weniger im Rampenlicht. Selbst seine Spitzenkandidatur im Bundestagswahlkampf 2009 konnte an dieser Wahrnehmung und an der informellen Rangordnung innerhalb der Kabinettshierarchie wenig ändern.
    Das kam nicht von ungefähr. Peer Steinbrück verfügte schon immer über ein äußerst robustes Selbstbewusstsein. Nur selten billigt er anderen Politikern die gleiche intellektuelle Flughöhe zu, auf der er sich normalerweise wähnt. Dennoch hat er – wohl zu seiner eigenen Überraschung – gelernt, die Kanzlerin im Laufe der gemeinsamen Regierungsjahre zu respektieren, ja, sie ganz im Stillen sogar zu achten.
    Die Art und Weise, wie die Naturwissenschaftlerin Merkel politische Sachverhalte durchdringt, gleicht der Sicht- und Arbeitsweise des gelernten Volkswirts Steinbrück sehr. Beide gehen systematisch vor und entscheiden nach rationalen Erwägungen. Beide verachten ideologische Argumente, vor allem wenn sie Vernunftgründe verdrängen, was in der parteipolitischen Auseinandersetzung leider viel zu oft vorkommt. Ebenso wie Merkel ist auch Steinbrück ein Politiker, der sich an Fakten und nüchterner Analyse orientiert. Zudem sind beide hochintelligent und von ihrer Persönlichkeitsstruktur her norddeutsch kühl, auch wenn die gemeinsame Geburtsstadt Hamburg gewiss nur

Weitere Kostenlose Bücher