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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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Sterben war gestern
     
    Der Raum war alles andere als einladend, auch wenn es schien, als hätte sich vor geraumer Zeit jemand Mühe gegeben, ihn ein wenig wirtlicher zu gestalten. Gut fünfzig Meter von den restlichen Gebäuden entfernt stand das lieblos eingerichtete Häuschen, das einst der Wasserwacht gedient hatte. Nun waren Sonnenliegen darin untergebracht, es standen zwei klapprige Bänke an einem nicht minder wackligen Tisch, ein Arrangement wie in Biergärten oder auf Dorffesten. Mobile Sitzgelegenheiten, die ebenso rasch wieder verschwinden konnten, wie man sie hingestellt hatte.
    Leicht entzündbar, guter Brennstoff.
    Der Mensch blickte flüchtig in den vier Wänden umher, erfasste die ungelenk angebrachte Wandmalerei, Ergebnis eines dilettantischen Versuchs, der rauen Oberfläche etwas Lebendigkeit abzutrotzen: Im Licht des fast vollen Mondes bildete sie unverkennbar den Strand und die See ab, die sich draußen je nach Wetterlage mehr oder weniger sanft gen Horizont erstreckten. Bei Tag stach sie hier drinnen dem Betrachter brutal farbig ins Auge. Der Sand so gelb, das Wasser so unwirklich blau, als wäre die an sich eher graue Ostsee in einem karnevalesken Schrei erstarrt. Nun verschwammen die Konturen diffus zu einer Schwarz-Weiß-Aufnahme.
    Der Gestank war unerträglich. Trotz des fast immer gekippten Fensters hing der kalte Rauch unzähliger bei Regen oder Schnee gerauchter Zigaretten in der Luft. Im Winter wurde tagsüber ein kleiner Heizofen in Gang gebracht, um den dann die Plastikstühle herumgruppiert waren, die nun vor der Tür auf Waschbetonplatten unter einem Sonnenschirm standen. Sit-in der Süchtigen zwischen Yoga und Gruppentherapie. Von November bis Februar Kuscheln bei Zähneklappern, im Frühling und Sommer bei Sonnenschein auf der Miniterrasse. Durch das vergitterte Fenster fiel der Mondschein herein, zog eine helle Spur auf dem staubigen Boden und tauchte den Raum in eine unwirkliche Atmosphäre.
    Perfekter Ort für Mord.
    Der prüfende Blick wanderte noch einmal durch den Raum, senkte sich auf den Tisch, auf dem eine abgegriffene Illustrierte lag, und folgte der Brise nach draußen. Der Wind ließ das Glockenspiel an der Decke leicht erzittern. Die Töne brachte er nicht zum Klingen.
    Inge Nowak betrat das Foyer, als ginge sie zum Schafott. Auf den gerahmten alten Fotos im Eingangsbereich konnte sie sehen, dass sich hier in den 1920er Jahren erholungsbedürftige Industrielle getroffen hatten, bevor die Anlage vierzig Jahre später zum Erholungsheim des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds für arbeitsame Genossen umfunktioniert wurde. Gleich nach der Wende hatte ein Investor aus der Gesundheitsbranche zugeschlagen und das Gebäude samt Umgebung grundsaniert. Eine Anmutung altmodischer Ruhesuche war jedoch geblieben, es war merkwürdig still in der großen Halle. In roséfarbenen Drehstühlen, an Marmorbeistelltischen mit geschwungenen Holzbeinen saßen Männer und Frauen mittleren Alters mit aufgeschlagenen Büchern oder in gedämpft geführte Gespräche vertieft. Glücklicherweise sah niemand auf, als die sich vorübergehend außer Dienst befindende Hauptkommissarin ihren Rollkoffer vor der Rezeption abstellte. Unschlüssig blickte sie auf die Messingglocke, die einem Schild nach betätigt werden musste, um auf sich aufmerksam zu machen.
    Niemals, dachte sie, das schaffe ich nicht. Und was soll ich überhaupt sagen? Meinen Namen? Die Krankenkasse?
    Oder sollte sie nur stumm das Schreiben über den Tresen schieben, das sie ein paar Wochen zuvor erhalten hatte: Bestätigung des Aufnahmetermins für Ihre Behandlungsmaßnahme. Man hatte sie über die Anreisemodalitäten und die Annehmlichkeiten ihres Erste-Klasse-Zimmers mit Farb-TV und Zimmertelefon informiert sowie eine Patientenmitteilung mit umfangreichen Hinweisen beigelegt. Die Anfahrtsskizze war überflüssig gewesen, Inge Nowak hatte zuletzt vor ungefähr vier Monaten für eine längere Strecke am Steuer gesessen und nicht gewusst, wie sie jemals von der Raststätte herunterkommen sollte, auf deren Parkplatz sie sich im letzten Moment hatte flüchten können. Die Straße hatte einfach begonnen, ihre Form zu verändern, war immer enger, immer steiler geworden und hatte im Takt zu ihrem Herzschlag vibriert. Eine Fahrt von ungefähr zweihundert Kilometern wäre unmöglich gewesen, sich von ihrer Tochter Marit bringen zu lassen, undenkbar, und die Vorstellung, sich nach der Ankunft von Verónica verabschieden zu müssen, einfach zu

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