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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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nehmen wollten.
    Ich bin schwanger, Henning .
    Ihre Stimme klang so vorsichtig, bebte. Und das Lächeln, das sich blitzartig auf ihren Lippen zeigte, wich einer Unsicherheit, die man einfach lieben musste. Er ging zu ihr, umarmte und küsste sie. Mein Gott, wie er sie küsste.
    Nora war an diesem Abend in der siebten Woche oder etwas darüber. Er weiß noch, dass sie früh zu Bett ging, weil ihr schlecht war. Er hingegen blieb lange wach, dachte nach und lauschte der Stille der Wohnung, ehe er sich ans Klavier setzte. Damals arbeitete er viel und hatte Ewigkeiten nicht mehr gespielt. Aber es war wie immer nach einer langen Pause, es hörte sich gut an.
    Vielleicht schrieb er an jenem Abend das schönste Lied, das er jemals komponiert hat. Er ging zu Nora ins Schlafzimmer, zerrte sie aus dem Bett und spielte es ihr vor. Trotz der Übelkeit war sie bezaubernd schön, wie sie hinter ihm stand, während seine Finger die schwarzen und weißen Tasten liebkosten. Es war ein Lied voller Melancholie, eine langsame Melodie.
    Nora legte ihre Hände auf seine Schultern, beugte sich zu ihm herunter und umarmte ihn von hinten. Henning nannte das Lied »Kleiner Freund«. Nach der Geburt spielte er es oft für Jonas. Der Kleine liebte die Klänge besonders vor dem Schlafengehen. Henning schrieb auch einen Text, aber er ist kein guter Texter, weshalb er meistens nur mitsummte.
    Er hätte »Kleiner Freund« bei der Beerdigung spielen sollen, aber er saß im Rollstuhl, eingepackt in Gips und Bandagen. Natürlich hätte auch ein Freund dieses Lied spielen können, aber das wäre nicht das Gleiche gewesen. Er hätte dieses Lied spielen müssen. Er.
    Als der Pastor die Andacht hielt, summte Henning die Melodie. Seitdem hat er nicht mehr gesummt.
    Den ganzen Tag schon kreist ein Gedanke durch seinen Kopf. Alle guten Kriminaljournalisten haben Quellen. Quellen sind wichtig. Henning hat eine fantastische. Zumindest hatte er eine fantastische, aber er weiß nicht, ob diese Quelle noch immer für ihn zugänglich ist. Er hat keine Ahnung, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, das war Teil der Abmachung. Henning durfte nicht wissen, wer er oder sie war, und sollte er es doch einmal herausfinden, durften sie nie miteinander zu tun haben.
    Seine Quelle nannte sich 6tiermes7 . Sie trat in sein Leben in Verbindung mit einem Fall, für den er Kinderpornos im Internet recherchierte. Er wollte damals untersuchen, wie leicht es war, Kinderpornos im Netz zu finden – wie wenig Klicks er brauchte –, und es dauerte nicht lang, bis er auf einer Seite war, die überwacht wurde.
    Die Polizei wusste von dieser Seite. Und durch die Überwachung wussten sie nun auch von ihm. Schon vor Beginn seiner Recherche war er sich darüber im Klaren gewesen, dass so etwas geschehen konnte, das war bei dieser Thematik kaum zu vermeiden. Er beschloss herauszufinden, wie gut die Polizei unterrichtet war und wie weit er gehen musste, damit er gestoppt wurde. Wie er seinerzeit auf diese Idee gekommen ist, weiß er nicht mehr, vermutlich nachdem er erfahren hat, dass er Vater wurde. Vielleicht war es sein persönlicher Versuch, dem Elend zuvorzukommen.
    Nachdem er eine Unzahl unterschiedlicher Kinderpornoseiten besucht hatte, wurde er per Mail von einer Frau kontaktiert, die sich Chicketita nannte. Sie bot ihm ganz konkrete Kinderpornos an, wenn er noch am selben Abend um 23 Uhr in den Vaterlandsparken kommen würde. Er ging nie dorthin.
    Tags darauf wurde er zum Verhör bestellt, sein Computer wurde beschlagnahmt und von Technikern untersucht, die herausfinden sollten, ob er schon früher auf der Suche nach Kinderpornos gewesen war. Was natürlich nicht der Fall war. Nachdem er den Beamten von der Sitte erklärt hatte, dass er für eine Reportage recherchiert hatte, durfte er wieder gehen. Chicketita, bei der es sich in Wahrheit um eine Polizistin mit Namen Elise handelte, hatte vollstes Verständnis. Sie erlaubte ihm sogar, seine Arbeit fortzusetzen. Sie fand es gut, dass die Presse sich diesem Thema widmete.
    Einige Tage später wurde er von 6tiermes7 kontaktiert. Zuerst dachte er, es handele sich um einen weiteren Kommissar auf der Jagd nach Pädophilen, doch er erkannte recht bald, dass dem nicht so war. 6tiermes7 hatte ganz andere Interessen.
    Er war sich unsicher, ob 6tiermes7 seine Pläne zufällig aufgeschnappt hatte oder ob er oder sie seine Arbeit schon länger verfolgt oder wenigstens überprüft hatte, was er für ein Mensch war. Damals war er ein

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