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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Ihren Fall berichtet. Bevor das hier passiert ist«, sagt er, zeigt auf sein Gesicht und hofft, mit seinen Brandnarben Sympathiepunkte zu sammeln.
    »Was tun Sie hier? Warum sind Sie hier?«
    Ihre Stimme klingt plötzlich schärfer.
    »Tun Sie das nicht, Ingvild«, sagt er. »Tief in Ihrem Inneren wollen Sie das doch gar nicht.«
    »Und ob ich das will!«, faucht sie. »Wofür soll ich denn noch leben? Er hat mir alles genommen! ALLES ! Mein ganzes Leben! Das ist … das ist …«
    Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen, bevor sie wortlos zu weinen beginnt. Tränen rinnen aus ihren Augen, bis sie plötzlich wieder aufglühen und ihren Mann verächtlich anschauen. Als sie sich wieder Henning zuwendet, hat sich ein Schleier vor ihr Gesicht gelegt.
    »Wissen Sie, zu was er meinen Sohn getrieben hat? Wissen Sie, wer mein Sohn ist?«
    Er geht einen Schritt weiter ins Zelt hinein.
    »Stefan«, sagt er freundlich. »Ihr Sohn hat Henriette Hagerup umgebracht.«
    Sie stößt ein dünnes Schluchzen aus.
    »W … wie können Sie das wissen?«, sagt sie unter Tränen.
    Er holt tief Luft, sammelt sich.
    »Ich habe das Skript gelesen, das Henriette Hagerup geschrieben hat.«
    Sie zieht die Nase hoch und wischt sich die Haare aus dem Gesicht. Er überlegt krampfhaft, was er sagen soll, wie er sich Gehör verschaffen und zu dem verständigen Teil ihres Hirns durchdringen kann. Gewalt ist aussichtslos. Es wäre sinnlos, sich auf sie zu stürzen und aus dem Zelt zu zerren. Ingvild Foldvik mag nur noch ein Skelett sein, aber ein Skelett mit einem starken Willen, der unter Umständen ungeahnte Kräfte freisetzen kann. Außerdem hat sie eine Stun Gun.
    »Wenn Sie einverstanden sind, Ingvild«, sagt er so freundlich, wie er es vermag, »würde ich gerne mit Ihnen über das Drehbuch sprechen.«
    » Ingvild «, äfft sie seine Stimme nach. »Ich wüsste nicht, dass wir befreundet wären. Scheiß Reporter!«
    »Stefan hat Henriette getötet, weil Ihr Mann Sie mit ihr betrogen hat. Vielleicht hat er sie sogar geliebt. Er hat Ihre Familie zerstört. Sie hat Ihre Familie zerstört und dann noch ein Drehbuch geschrieben, das genau davon handelt. Stefan hat dem Drehbuch eine ganz neue Wendung gegeben.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Sein Blick huscht kurz zu Yngve, der noch immer bewusstlos ist.
    »Für Stefan war die Symbolik immer sehr wichtig. Da Vinci Code light. War sein Skript, mit dem er damals gewonnen hat, in den Zeitungen nicht so tituliert worden? Henriettes Hand wurde abgehackt. Davon steht nichts in Hagerups Drehbuch. Nach der Scharia ist dies die Strafe für einen Dieb. Henriette hat Ihnen den Mann gestohlen.«
    Ingvild stößt den Spaten in den Boden, schaufelt aber nicht mehr Sand und Gras auf ihren Mann. Sie hält sich eine Hand vor den Mund.
    »Und das Auspeitschen, auch davon steht nichts im Skript. Aber der Film hätte Sie und Ihre Familie der Lächerlichkeit preisgegeben. Und eine Frau darf nicht lachen, sonst wird sie ausgepeitscht.«
    »Stopp!«, ruft sie. »Hören Sie auf. Ich will das nicht hören. Halten Sie den Mund.«
    Der Spaten kippt zur Seite, und sie legt sich die Hände vor das Gesicht. Er geht einen weiteren Schritt in das Zelt hinein, ohne dass sie es bemerkt. Yngves grünes Hemd hat große Schweißflecken. Ingvild sackt in sich zusammen. Henning tut nichts, er sieht zu, wie sie in ihre Hände weint. So verharrt sie eine Weile, bis sie sich die Augen abwischt und ihn ansieht.
    »Sie sagen, Sie hätten über meinen Fall berichtet?«, beginnt sie mit brüchiger Stimme. Sie räuspert sich, sieht ihn aber nicht an.
    »Dann wissen Sie auch, wie dieses Schwein mich vergewaltigt und zerstört hat. Ich habe einen Selbstverteidigungskurs gemacht, habe gleich mehrere Techniken gelernt, fühle mich aber trotzdem nicht sicher. Wo immer ich bin, überall sehe ich seinen Schatten, spüre die Klinge am Hals oder die Spitze des Messers auf meinem Bauch und meiner …«
    Sie seufzt schwer.
    »Yngve war verständnisvoll. Er ließ mir Zeit, hat mich zu nichts gezwungen. Aber irgendwann war er das Warten leid. Das Warten auf …«
    Sie schließt die Augen und weint wieder, während er weiter in das Zelt hineingeht, ohne dass sie es bemerkt. Nur wenige Meter trennen sie noch. Das Zelt ist groß, es passen sicher zwanzig Personen hinein.
    Sie schlägt die Augen wieder auf. Eine Weile stehen sie da und sehen sich an, wobei er das Gefühl hat, dass nur er etwas sieht. Ingvilds Blick wechselt zwischen deutlich erkennbarer Abwesenheit und

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