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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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antwortet er und lässt noch einmal seine Flucht vor dem inneren Auge Revue passieren. Eigentlich dürfte der Schütze ihn die meiste Zeit nur von hinten gesehen haben, aber für den Bruchteil einer Sekunde sind sich ihre Blicke begegnet. Und Henning hat ein Gesicht, das man nicht so schnell wieder vergisst.
    Ja, er hat mich gesehen, denkt er. Es kann gar nicht anders sein.
    Er sieht Bjarne an und weiß, was der Kommissar denkt. Wenn die Techniker keine Beweise finden, die den Mörder eindeutig mit dem Tatort in Verbindung bringen, ist er der Einzige, der den Schützen positiv und physisch identifizieren kann. Juristisch gesehen ist Hennings Zeugenaussage ein Strafstoß auf ein Tor ohne Torwart.
    Unter einer Voraussetzung.
    Dass Henning lebt.

27
    Eine Dreiviertelstunde später tippt er aufgeregt mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. Brogeland steht auf und kommt zu ihm auf die andere Seite des Tisches.
    »Bist du dir sicher?«
    Henning starrt auf die Lippen des Mannes. Sie sind schief.
    »Ja.«
    Brogelands Blick glüht. Er übernimmt den Computer, dreht ihn von Henning weg, setzt sich hin und tippt etwas ein.
    »Wer ist das?«, fragt Henning. Brogeland sieht ihn über den Bildschirm hinweg an, sein Blick flackert leicht.
    »Er heißt Yasser Shah«, sagt er zögernd. »Aber darüber schreibst du noch nichts in deiner Zeitung, dass das klar ist.«
    Henning hebt die Hände.
    »Und was ist das für ein Typ?«
    »Eigentlich ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Er hat ein paar kleinere Vorstrafen wegen Drogenbesitzes. Im Grunde nur Kleinigkeiten.«
    »Ein Kleindealer, der zum Auftragsmörder wird?«
    »Sieht so aus.«
    »Hm.«
    »Er gehört zu einer Gang, die sich BBB nennt. Bad Boys Burning.«
    Henning rümpft die Nase.
    »Was ist das für eine Gang? Der Name sagt mir gar nichts.«
    »Die sind im Laufe des letzten Jahres auf der Bildfläche erschienen, inzwischen aber schon ziemlich aktiv. Die machen alles Mögliche: Schmuggel, Drogen, Schutzgelderpressung mit Gewalt – also auch mit Waffen. Die Kollegen von der Organisierten Kriminalität haben sie aber eigentlich unter Kontrolle, denke ich.«
    »Hatten die Marhoni-Brüder was mit BBB zu tun?«
    Brogeland ist drauf und dran zu antworten, hält dann aber inne und mustert sein Gegenüber. Henning weiß genau, was der Kommissar in diesem Moment denkt.
    Henning, du bist ja eigentlich in Ordnung, aber ich kenne dich noch nicht gut genug.
    »Fantastisch, dass du ihn erkannt hast«, sagt Brogeland schließlich. »Du warst uns eine große Hilfe.«
    Sie stehen auf und schütteln sich zum Abschied die Hände.
    Kurz darauf verlässt Henning das Präsidium mit dem Gefühl, in erster Linie sich selbst weitergeholfen zu haben.
    Als er auf die Straße tritt, hat er bereits die Idee für den Titel des Artikels. Tariqs letzte Worte . Das wird ein gut zu lesender Text, denkt er. Tourette-Kåre wird austicken, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Er schaltet sein Handy wieder an, als er auf den Grønlandsleiret kommt. Eine halbe Minute später kommen die ersten Nachrichten. Mehrere Sprachmitteilungen. Eine davon ist von Iver Gundersen. Henning weiß natürlich, wieso. Logisch. Er ist jetzt aber nicht in der Lage, auch nur eine dieser Nachrichten zu beantworten. Als er sie alle löschen will, ruft Iver Gundersen an. Henning seufzt und antwortet nüchtern mit Hallo.
    »Wo bist du?«
    »Im Polizeipräsidium.«
    »Warum hast du nicht gleich hier angerufen? Das ist doch die Krachermeldung, und wir wären die Ersten gewesen!«
    »Ich war, ehrlich gesagt, mehr darauf bedacht, meine Haut zu retten, also das, was davon noch übrig ist.«
    »Verdammt, Henning, ich versuche jetzt seit dreieinhalb Stunden, dich zu erreichen!«
    »Dreieinhalb Stunden?«
    »Ja!«
    »Hast du die Zeit gestoppt?«
    Gundersen holt tief Luft und atmet heftig wieder aus.
    »Es ist doch wohl echt Scheiße, dass NRK mit der Meldung herausplatzt, dass ein Journalist von 123nyheter Zeuge eines Mordes geworden und selbst in Lebensgefahr geraten ist.«
    »Wieder Jørn Bendiksen?«
    »Ja!«
    »Der hat wirklich gute Quellen«, sagt Henning so unmissverständlich, dass Gundersen es als persönliche Beleidigung auffassen muss.
    »Lass mich dich jetzt wenigstens interviewen, damit du erzählen kannst, was passiert ist. Wir haben darauf verzichtet, NRK zu zitieren, und unseren Lesern den Eindruck vermittelt, dass wir mit dir gesprochen haben. Aber mir ist verdammt unwohl dabei. Ein Augenzeugenbericht von dir würde die Sache jetzt wieder

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