Sterblich
hat. Was meinen Sie damit? Was wollen Sie damit sagen?«
»Dass ich starke Zweifel habe, dass er es getan hat.«
»Warum?«
»Weil wenig aus seinem Hintergrund darauf hindeutet, dass er ein begeisterter Anhänger von Hadd-Strafen ist, und der Mord hat ja – soweit ich das verstanden habe – etwas damit zu tun.«
Sandland sitzt reglos da und mustert ihn lange, ehe sie einen Blick mit Brogeland wechselt.
»Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es einfach.«
Sandland und Brogeland sehen sich erneut an. Henning kann sich lebhaft vorstellen, was sie denken.
Wer hat da geplaudert?
Sandland mustert ihn mit ihren eisblauen Augen. Er kriegt plötzlich Lust auf einen Gin Tonic.
»Sie sind dafür bekannt, immer gut informiert zu sein.« Sandland spricht das wie eine Frage aus.
Er zieht die Schultern hoch.
»Früher zumindest. Kapital , Aftenposten , Nettavisen , 123nyheter . Wie viele Titelseiten haben Sie im Laufe Ihrer Karriere gehabt, Juul? Mit wie vielen Breaking News konnten Sie aufwarten? Das heißt bei euch Journalisten doch so, nicht wahr?«
Er zuckt erneut die Achseln.
»Wenn es für die Ermittlungen wichtig ist, kann ich das gerne überprüfen.«
Sandland lächelt. Es ist das erste Mal, dass er sie lächeln sieht. Perfekte Zähne. Rote, einladende Zunge. Bestimmt hat Brogeland schon mal daran genascht.
Nein. So dumm kann sie nicht sein.
»Und wieder einmal sind Sie im Zentrum einer Ermittlung gelandet, aber diesmal als Zeuge. Was ist das für ein Gefühl?«
»Haben Sie einen Nebenjob bei NRK Sport für mich?«
»Die Vernehmung könnte zügiger laufen, wenn du dir deine Spitzen verkneifst, Henning«, sagt Brogeland und sieht ihn freundlich an. Henning nickt und muss zugeben, dass Brogeland damit sicher recht hat.
»Das ist in der Tat eine neue Erfahrung, könnte man sagen«, sagt er einen Tick freundlicher als eben. »Ich habe schon viele merkwürdige Dinge erlebt, Überfälle und Messerstechereien, zwei Eigentore von ein und demselben Spieler in ein und demselben Spiel, aber es ist etwas komplett anderes, mit anzusehen, wie einem Menschen, mit dem man gerade gesprochen hat und der einem nur Augenblicke zuvor noch ein Glas Milch angeboten hat, zweimal in die Brust und einmal in den Kopf geschossen wird.«
»Milch?«
»Fettreduziert.«
Brogeland lächelt und nickt kurz.
»Haben Sie den Täter gesehen?«
Er zögert die Antwort hinaus.
»Es ging alles so schnell.«
»Selbst in kurzen Augenblicken kann das Hirn eine Menge Informationen speichern. Denken Sie noch einmal nach. Konzentrieren Sie sich.«
Und er denkt nach. Konzentriert. Und plötzlich löst sich etwas in seinem Gehirn. Er sieht etwas. Ein Gesicht. Ein ovales Gesicht. Bart. Aber nicht das ganze Gesicht, nur die Mundpartie, eckig. Dichter Kinnbart.
Er erzählt. Etwas, das er vorher nicht erwähnt hat. Die Lippe war auf der linken Seite irgendwie schief. Bjarne hat recht, denkt er. Verdammt, Bullen-Bjarne hat recht!
»Konnten Sie sehen, was für eine Waffe er benutzt hat?«
»Nein.«
»Sicher?«
»Handfeuerwaffe. Eine Pistole, nehme ich an. Ich kenne mich mit Waffen nicht so gut aus.«
»Schalldämpfer?«
»Ja. Habt ihr keine Patronenhülsen am Tatort gefunden?«
Sandland sieht wieder zu Brogeland. Natürlich haben sie welche gefunden, denkt Henning, als es in seiner Jackentasche zu vibrieren beginnt. Er versucht, den Anruf zu ignorieren, aber das Vibrieren will gar nicht mehr aufhören.
»Entschuldigung«, sagt er und zeigt auf seine Innentasche.
»Schalten Sie bitte Ihr Handy aus«, fordert Sandland ihn auf. Auf dem Display sieht er, dass es Iver Gundersen ist. Er drückt extra fest und extra lange auf die Aus-Taste.
»Haben Sie gesehen, wie der Täter gekleidet war?«
Henning denkt scharf nach.
»Dunkle Hose. Die Jacke war schwarz, glaube ich. Nein, beige.«
»Schwarz oder beige?«
»Beige.«
»Welche Haarfarbe?«
»Das weiß ich nicht mehr, aber ich glaube, er hatte dunkle Haare. Der ganze Kerl war dunkel.«
Sandland mustert ihn skeptisch.
»Abgesehen von der beigen Jacke«, fügt er rasch hinzu.
»Einwanderer?«, fragt Brogeland.
»Würde ich tippen, ja.«
»Pakistani? Wie das Opfer?«
»Gut möglich.«
Brogeland und Sandland notieren beide etwas, das Henning von seinem Platz aus nicht sehen kann, aber er weiß trotzdem, was sie schreiben.
Täter kannte das Opfer.
Er nutzt die kurze Pause.
»Also, was glaubt ihr? Habt ihr Marhoni fälschlicherweise verhaftet?«
Er nimmt seinen Notizblock
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