Sterblich

heraus.
    Sandland und Brogeland tauschen wieder Blicke.
    »Ich dachte, ich hätte klar und deutlich gesagt …«
    Brogeland räuspert sich. Wieder die Hand auf dem Arm. Sandland hat rote Wangen bekommen.
    »Es ist noch zu früh, um das zu sagen.«
    »Dann schließt ihr Rache als Motiv nicht aus?«
    »Wir schließen gar nichts aus.«
    »Von welcher Theorie geht ihr aus? Mahmoud wird festgenommen unter Mordverdacht, und weniger als vierundzwanzig Stunden später wird sein Bruder ermordet?«
    »Bjarne …«
    »Kein Kommentar. Und damit ist das Interview beendet«, sagt Brogeland in ernstem Tonfall.
    »Würden Sie den Täter wiedererkennen, wenn Sie ihn noch einmal sehen?«, fährt Sandland mit der Befragung fort.
    Henning denkt nach, erlebt die Szene in Marhonis Wohnung noch einmal im Zeitraffer.
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Würden Sie es probieren?«
    Er versteht unmittelbar, was sie meint.
    »Soll ich mir Bilder angucken?«
    Sie nickt ernst.
    »Probieren kann ich’s ja«, sagt er.

26
    »Bist du immer so?«, fragt Brogeland, als er sich an den Tisch setzt und sein Laptop aufklappt. Sie sind in einen kleineren Raum umgezogen. Henning sitzt Brogeland gegenüber und beobachtet ihn, wie er die winzige Tastatur bearbeitet.
    »Wie?«, antwortet Henning.
    »So respektlos und arrogant?«
    Brogeland dreht den Computerbildschirm zu ihm und lächelt. Die Frage überrumpelt Henning. Er verzieht den Mund und neigt den Kopf erst auf die linke, dann auf die rechte Seite. Falls der Polizist vor ihm eine Quelle werden sollte, machen sich arrogant und respektlos nicht gut im empfohlenen Journalisten-ABC.
    »Sorry, war nicht so gemeint.«
    Er hebt entschuldigend die Hände.
    »Nach dem, was da vorgefallen ist, bin ich wohl nicht ganz ich selbst. Man wird schließlich nicht jeden Tag Zeuge eines Mordfalls. Nein, so bin ich nicht immer. Das ist vermutlich ein Schutzmechanismus.«
    Brogeland nickt.
    »Verstehe.«
    Höchste Punktzahl war das nicht, aber zumindest hat er ins Schwarze getroffen. Brogeland schiebt das Laptop noch etwas näher an ihn heran.
    »Mit den Pfeiltasten kannst du vor- und zurückschalten. Und wenn du dir eins der Bilder genauer ansehen willst, drückst du hier.«
    »Haben die irgendwelche Vorstrafen?«
    »Ja. Ich habe die mit Einwandererhintergrund rausgefiltert. Und ein paar andere Kategorien ausgeschlossen.«
    Henning nickt und beginnt zu blättern.
    »Und – was hast du nach der Schule so gemacht?«, fragt er, den Blick auf den Bildschirm gerichtet.
    »Tja, alles Mögliche, wie die meisten. Nach der weiterführenden Schule war ich ein Jahr beim Militär, ein Jahr Dienst im Ausland, Kosovo, dann drei Jahre Sporthochschule. Danach hab ich mich bei der Polizei beworben. Und seitdem bin ich hier.«
    »Familie?«
    Henning merkt, dass er sich in diesem Moment selber hasst.
    »Frau und ein Kind.«
    »Deine Frau – kenne ich sie?«
    »Das bezweifle ich. Ich hab sie an der Sporthochschule kennengelernt. Anita ist aus Hamar.«
    Henning nickt und blättert ruhig weiter. Einige Gesichter kommen ihm bekannt vor, aber nur, weil er irgendwann einmal etwas über sie geschrieben oder in irgendeinem Artikel gelesen hat.
    »Gefällt es dir bei der Polizei?«
    Geht’s noch peinlicher?
    »Sehr, auch wenn es viel Arbeit ist. Ich sehe meine Tochter leider viel seltener, als ich möchte. Ungünstige Arbeitszeiten. Das ist ziemlich anstrengend.«
    »Wie alt ist deine Tochter?«
    »Drei. Dreieinhalb«, fügt er schnell hinzu.
    »Schönes Alter«, sagt Henning und bereut es, noch bevor die letzte Silbe über seine Lippen gekommen ist. Hoffentlich verkneift sich Brogeland die unvermeidliche Gegenfrage auf diese Art Kommentar. Henning kommt ihm zuvor.
    »Wie heißt sie?«
    »Alisha.«
    »Hübscher Name.«
    Plötzlich kommt alles hoch, Galle, der Kaffee von gestern.
    »Meine Frau wollte unbedingt einen internationalen Namen. Damit die Kleine auch im Ausland leben kann, ohne dauernd ihren Namen buchstabieren zu müssen.«
    Bjarne lacht abgehackt. Henning lacht auch, aber es klingt falsch, weshalb er sein Lachen schnell abwürgt und weiterblättert. Gesichter, Gesichter, Gesichter, die aus jeder Pore Kriminalität ausdünsten. Finstere Blicke, verkniffene Münder. Aber kein Schütze.
    Nachdem er etwa eine Viertelstunde geblättert hat, sagt Bjarne: »Glaubst du, der Täter hat dich gesehen?«
    Henning reißt den Blick vom Bildschirm los und sieht Brogeland an. Komisch, dass er nicht eher daran gedacht hat.
    »Weiß ich nicht«,