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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Mercedes wiedersieht. Dummerweise gelingt es ihm weder das Nummernschild noch die Taxinummer auf dem Dach zu lesen, ehe der Wagen nach links in die Toftes gate biegt.
    Er versucht, sich einzureden, dass er keinen Gedanken daran verschwenden muss, was ihm alles andere als leichtfällt. Die beiden sahen sich ungeheuer ähnlich. Dunkle Hautfarbe, schwarze Haare und dunkler Bart. Vielleicht Brüder, auf jeden Fall Immigranten.
    Zufall?
    Vielleicht sollte er die Beine in die Hand nehmen, bevor der silbergraue Mercedes erneut auftaucht. Er geht auf die Gasse zu, die zwischen Markveien und Fredensborgveien zum Fluss Akerselv hinunterführt, der langsam unter der Brücke hindurchfließt, entscheidet sich dann aber anders und betritt das Vinmonopol, was in diesem Fall nichts mit seiner Mutter zu tun hat.
    Er stellt sich ans Fenster, verdeckt von den anderen Menschen, und nimmt eine Broschüre zur Hand, in der er blättert, während er verstohlen die Straße im Auge behält. Viele Mercedes, einige auch silbergrau, aber keiner mit zwei dunklen Männern darin.
    Eine ganze Weile später tritt er wieder nach draußen, schaut nach links und rechts und geht dann schnell in Richtung Westerdals School of Communication. Er atmet hastiger als normal und dreht sich auf seinem Weg mehrmals um.
    Als er die belebten Straßen schließlich hinter sich lässt und wieder auf dem Schulgelände ist, fühlt er sich etwas freier. Sollten die beiden im Taxi ihn wirklich überwachen, machen sie das nicht sehr professionell, denkt er, sonst wäre er ihnen wohl kaum so mühelos entkommen. Oder sie sind so gut, dass er sie nicht mal mehr bemerkt. Vielleicht haben sie ihn aber ja auch nur wegen seines entstellten Gesichts angeschaut?
    Er versucht, die ganze Sache zu vergessen und sich auf das bevorstehende Gespräch mit Henriette Hagerups Betreuer zu konzentrieren.

36
    Das Schulgelände hat sich im Laufe von zwei Tagen deutlich verändert. Die Kameras und Trauergäste sind verschwunden. Hagerups Altar steht zwar noch da, es brennt aber keine Kerze mehr. Er registriert ein paar neu hinzugekommene letzte Grüße, Blumengebinde und welke Rosen.
    Die wenigen Studenten, die draußen sind, reden unbeschwert miteinander. Vor dem Eingang stehen ein Mann und eine Frau und rauchen.
    Vielleicht beginnen bald die Ferien, denkt Henning, vielleicht stecken die meisten in Prüfungsvorbereitungen. Oder sie haben längst Ferien. Das allerdings könnte die Lösung des Falls ziemlich erschweren.
    Er spürt den Blick der Raucher auf sich, als er das Hauptgebäude betritt. Linkerhand sieht er eine Art Rezeption. Hinter dem Tresen unter einem Steinbogen sitzen zwei Menschen eng umschlungen und küssen sich. Er macht bewusst Lärm, als er die Hände auf den Tisch legt.
    Sie zucken zusammen, sehen ihn an, kichern. Noch einmal zwanzig sein, denkt Henning.
    »Ich habe einen Termin mit Yngve Foldvik«, sagt er. Der Mann mit den langen Dreads und dem Zottelbart zeigt die Treppe hinauf.
    »Einfach rauf in die erste Etage, dann zweimal rechts und anschließend immer geradeaus. Dann laufen Sie direkt auf sein Büro zu.«
    Henning bedankt sich für die Hilfe. Er will schon weitergehen, als ihm etwas in den Sinn kommt.
    »Sie wissen nicht zufällig, wer Anette ist?«
    »Anette?«
    Idiot, flucht er im Stillen. Hier gibt es doch bestimmt fünfzehn Anettes.
    »Mehr weiß ich leider nicht. Sie war eine Freundin von Henriette Hagerup. Geht in ihre Klasse.«
    »Ah, die Anette, ja. Das ist Anette Skoppum.«
    »Sie haben sie nicht zufällig heute schon hier gesehen?«
    »Nein, ich glaube nicht. – Du?«, fragt er und sieht seine Freundin an. Sie tippt gerade etwas in ihr Handy und schüttelt den Kopf, ohne aufzublicken.
    »Sorry«, sagt der junge Mann.
    »Nicht so wichtig«, sagt Henning und geht. Ein ganzer Haufen Studenten und Studentinnen läuft um ihn herum. Auch auf der Treppe kommen ihm junge Leute entgegen. Er hat das Gefühl, als hätte er die Uhr um zwölf, dreizehn Jahre zurückgedreht. Die Zeit seines Studiums in Blindern ist ihm noch in guter Erinnerung: das Studentenleben, die Freizeit und Feste, die Nervosität, wenn die Examen sich näherten, die Kaffeepausen und die Blicke im Lesesaal. Er mochte diese Blicke, war gerne Student und las alles, was er über seine Themen finden konnte, mit wahrer Inbrunst.
    Foldviks Büro ist tatsächlich leicht zu finden. Henning klopft an. Keine Antwort. Er klopft noch einmal und blickt auf die Uhr. Eine Minute vor zehn. Er drückt die Klinke

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