Sterblich
Wettbewerb mit sechzehn gewonnen.«
»Wow.«
»Ja, er hat wirklich Talent.«
»Etwa wie Henriette Hagerup?«
Foldvik denkt nach.
»Nein, ich denke, Henriettes Talent war noch ein bisschen größer. Wie es jetzt aussieht, auf jeden Fall.«
»Wie meinen Sie das?«
Foldvik scheint unangenehm berührt zu sein.
»Ach, Stefan scheint im Moment sein Interesse am Schreiben verloren zu haben. Sie wissen schon, Teenager.«
»Mädchen, Bier und das ganze Brimborium um den Schulabschluss?«
»Genau. Ich sehe ihn kaum noch. Haben Sie Kinder?«
Die Frage wirft Henning aus der Bahn. Denn er hat eins und auch wieder nicht. Er hat nie darüber nachgedacht, was er auf diese Frage antworten soll, nicht eine Sekunde, dabei wusste er die ganze Zeit, dass er früher oder später mit ihr rechnen musste.
Er antwortet, so einfach er kann.
»Nein.«
Aber es brennt in seinem Herzen, als er das sagt.
»Manchmal sind sie wie Pest und Cholera.«
»Hm.«
Hennings Blick bleibt an einem kleinen Foto hängen, das auf Foldviks Schreibtisch steht. Das Bild einer Frau. Lange schwarze Haare mit ersten grauen Strähnen. Sie lächelt nicht. Er schätzt sie auf Mitte vierzig. Frau Foldvik.
In diesem Augenblick fällt ihm ein, woher er Yngve Foldvik kennt.
Foldviks Frau heißt Ingvild. Henning erinnert sich plötzlich wieder an alles. Ingvild Foldvik wurde vor ein paar Jahren unweit der Cuba Bro brutal vergewaltigt. Er erinnert sich, weil er über die Verhandlung berichtet hat. Yngve Foldvik saß jeden Tag im Gerichtssaal und hat sich alle grotesken Details angehört, die ans Tageslicht kamen.
Henning sieht noch klar vor sich, wie Ingvild Foldvik im Zeugenstand saß, wie sie zitterte, für ihr Leben gezeichnet von einem Mann, der sie brutal geschlagen und vergewaltigt hatte. Wäre an diesem Abend nicht ein anderer Mann mit seinem Hund vorbeigekommen, wäre sie vermutlich ermordet worden. Das konnte man schon aus dem Messer schließen, mit dem der Typ auf sie losgegangen war. Der Vergewaltiger bekam damals fünf Jahre, Ingvild lebenslänglich. Trotz der geringen Größe des Fotos kann Henning nur zu deutlich sehen, dass ihre Wunden noch nicht verheilt sind. Die Albträume. Und vielleicht auch die Schreie.
Er schiebt die Erkenntnis beiseite und verdrängt den Anflug von Zufriedenheit, endlich Gesicht und Namen zuordnen zu können.
»Was hat Henriette geschrieben?«
»Vorwiegend Kurzfilme.«
»Und um was ging es darin? Sie sagten, sie provozierte gerne?«
»Henriette hat zwei Kurzfilme gedreht, bevor sie … in ihrer Zeit hier. Einer davon heißt Ein Teufel klopft an , darin geht es um Inzest, während der andere, Schneeweiß, von einem Mädchen handelt, das dem Kokain verfällt. Ziemlich pfiffige Filme. Sie wollte noch einen weiteren Film drehen, aber damit konnte sie nicht mehr anfangen.«
»War das der, den sie oben am Ekeberg drehen wollte?«
»Ja.«
»Aber warum wollte sie ihn jetzt drehen? So kurz vor den Sommerferien?«
»Weil die Handlung im Frühling spielt. Es ist wichtig, alles so authentisch und korrekt wie nur möglich zu haben, damit der Film glaubwürdig wirkt.«
»Und die Handlung?«
»Des Filmes, den sie jetzt drehen wollte?«
»Ja?«
»Ich weiß es nicht genau, wir haben nur einmal kurz darüber gesprochen.«
»Erinnern Sie sich vielleicht noch in groben Zügen daran?«
Foldvik atmet schwer aus.
»Ich glaube, sie wollte etwas über die Scharia machen.«
Henning blickt überrascht auf.
»Die Scharia?«
»Ja.«
Er räuspert sich und versucht, die Gedanken zu sortieren, die auf ihn einstürmen. Der erste, der sich festsetzt, ist Anettes letzter Gruß.
»Hat Anette Skoppum bei diesem Film mit Henriette Hagerup zusammengearbeitet?«
Foldvik nickt.
»Henriette hat das Skript geschrieben, während Anette die Regie führen sollte. Aber wenn ich Anette richtig kenne, hat sie auch beim Drehbuch ein Wörtchen mitgeredet.«
Anette, denkt Henning, ich muss dich finden. Wenn es etwas gibt, worin er sich zu hundert Prozent sicher ist, dann, dass dieser Film etwas mit dem Mord zu tun hat.
»Wissen Sie, ob sie noch hier ist? Oder ist sie für die Ferien schon nach Hause gefahren?«
»Ich glaube, sie ist noch da. Ich habe sie gestern noch gesehen. Und wenn ich mich richtig erinnere, habe ich in ein paar Tagen einen Termin mit ihr. Sie wird also kaum weg sein.«
»Sie haben nicht zufällig eine Telefonnummer, unter der ich sie erreichen kann?«
»Doch, die habe ich, ich habe aber nicht die Befugnis, diese Nummer an
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