Sterblich
müder Stimme.
»Hallo, hier ist Henning.«
»Guten Morgen.«
Keine Geräusche im Hintergrund. Gut.
»Wo bist du?«, fragt er, obgleich er die Antwort eigentlich gar nicht wissen will.
»Zu Hause. Ich komme heute etwas später. Heidi weiß Bescheid.
»Deshalb rufe ich nicht an.«
»Nicht?«
Gundersen klingt jetzt etwas wacher, macht aber lange Pausen, und Henning hat das Gefühl, dass sie beide etwas auf dem Herzen haben, das sie gerne sagen würden. Aber keiner der beiden gibt sich den notwendigen Ruck. Sie sind unbeholfen wie zwei Vierzehnjährige.
»Bist du irgendeiner Sache auf der Spur?«, fragt Henning schließlich. »Was hast du heute vor?«
Er hört, wie Gundersen sich aufrichtet. Er zündet sich eine Zigarette an und bläst den Qualm in den Hörer.
»Ich hatte ein kurzes Gespräch mit Emil Hagen«, sagt er und zieht erneut an seiner Zigarette.
»Wer ist das?«
»Einer der Ermittler. Der ist noch ziemlich neu. Er hat recht heftig reagiert, als ich die Elektroschockpistole erwähnt habe.«
Henning spürt einen Kloß im Hals.
»Was hat er gesagt?«
»Er wollte das nicht kommentieren. Mahmoud behauptet noch immer, nichts Unrechtes getan zu haben, er macht aber auch keine Aussagen, die seine Unschuld belegen könnten, sodass die Polizei im Grunde nicht weiterkommt. Er hat für den Abend kein Alibi. Den einzigen Menschen, der ihm eins hätte geben können, hast du gestern Nachmittag getroffen.«
»Glaubst du, dass er deshalb getötet wurde?«
Er fragt, ohne nachzudenken. Aber jetzt, da die Frage schon einmal raus ist, findet er sie gar nicht so schlecht.
»Schwer zu sagen, könnte sein.«
Er nickt. Es könnte sich wirklich so verhalten. Das würde dann aber heißen, dass es jemanden gibt, der absolut nichts dagegen hat, dass Mahmoud Marhoni in Untersuchungshaft sitzt. Aber warum sagt Mahmoud nichts?
»Und du? Bist du bei der Arbeit, oder wieso fragst du?«
Henning sieht zu Heidi hinüber.
»Ja, ich bin in der Redaktion.«
»Ich dachte, du wolltest es ein paar Tage lang ruhiger angehen lassen?«
»Das dachte ich auch.«
Er hat keine Lust seinen mentalen Zustand mit Gundersen zu diskutieren.
»Hat Emil Hagen etwas von der Fahndung nach Yasser Shah gesagt?«
»Yasser wer?«
»Das ist der Mann, der gestern auf mich geschossen hat. Ich habe ihn in einer Polizeikartei erkannt.«
»Ich habe ihn gefragt, wie es mit der Fahndung nach dem Täter aussieht, aber er hatte keine Ahnung. Scheint nicht gerade der aufgeweckteste Typ zu sein, dieser Hagen.«
Henning nickt und denkt, dass sich wahrscheinlich die Abteilung Organisierte Kriminalität um alles kümmert, was mit BBB zu tun hat.
»Ich habe später noch eine Verabredung mit dem Studienbetreuer von Henriette Hagerup. Ich weiß nicht, ob der etwas Vernünftiges beitragen kann, aber ich werde versuchen, über ihn wenigstens noch ein paar von ihren Freunden ausfindig zu machen. Irgendetwas stimmt mit dieser Schule nicht.«
»Hört sich gut an. Dann sehen wir uns vielleicht später.« Gundersen lässt seinen Satz wie eine Frage klingen. Henning hat keine Ahnung, wie es nach dem Treffen mit Foldvik weitergeht, sagt aber trotzdem: »Bestimmt, wir werden uns sicher über den Weg laufen.«
Dann legt er auf. Einen Moment lang bleibt er mit einem seltsamen Gefühl im Bauch sitzen. Das war ihr erstes zivilisiertes Gespräch. Auf jeden Fall das erste, das über zwei Sätze hinausging.
»Denk bitte dran, heute um zwei Uhr ist eine allgemeine Redaktionssitzung, an der alle teilnehmen sollen.«
Heidis Stimme klingt frostig. Sie sieht ihn nicht an.
»Allgemeine Redaktionssitzung?«
»Ja. Sture will uns etwas über die generelle Situation der Zeitschrift sagen. Es läuft zurzeit nicht so gut.«
Wo tut es das schon?
»Ich sage das nur, weil ich gehört habe, dass du später noch einen Termin hast. Es besteht Anwesenheitspflicht.«
Henning denkt sich seinen Teil, verkneift sich aber einen Kommentar.
Sture Skipsrud ist der Gründer und Chefredakteur der Zeitschrift. Sture und Henning haben ein paar Jahre lang gemeinsam bei Kapital gearbeitet, einer Nischenzeitschrift, die nicht so oft erscheint, sodass man als Journalist die Zeit hat, bei gewissen Themen richtig in die Tiefe zu gehen. Das ist ein Vorteil. Man kann Unmengen Zeugen interviewen und sich einen ordentlichen Überblick von dem Thema verschaffen, über das man schreiben will. In diesem Umfeld entstehen die wirklich guten Artikel, die natürlich aber auch ein bisschen Zeit in Anspruch
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