Stern der Göttin
Menschen auf unserer Schwesterwelt.«
»Sie wird lernen und in das, was ihr bestimmt ist, hineinwachsen. Nun komm! Wir halten uns schon viel zu lange an diesem Ort auf.« Die Sprecherin nahm ihre Gefährtin bei der Hand und führte sie zu einer Stelle, an der eine unscheinbare, graue Felsplatte im weißen Moos des Waldes zu erkennen war.
Die beiden stellten sich darauf und richteten ihre Sinne auf ein Artefakt, das unter dem Stein verborgen lag. Im selben Augenblick leuchtete die Platte auf, und die beiden Eirun-Frauen verschwanden so spurlos, als hätte sie es nie gegeben.
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Viertes Kapitel
Rongi
H och in der Baumkrone krümmte Laisa sich unter Wellen panischer Angst. Sie hatte die Krallen in die Rinde geschlagen, um sich festzuhalten, und wagte es nicht, wieder hinabzusteigen. Seit Jahren hatte sie davon geträumt, die weiten Wälder der Gegend, in der sie aufgewachsen war, auf eigene Faust zu erkunden. Aber nun, da sie auf geheimnisvolle Weise in ein Land geraten war, in dem selbst das Gras und die Bäume von innen zu leuchten schienen, wünschte sie sich mit jeder Faser ihres Seins in die Geborgenheit des Dorfs der Gromkatzen zurück.
Sogar die Sonne sah hier anders aus als daheim. Sie war viel größer und leuchtete so intensiv golden, dass selbst der Horizont diese Farbe anzunehmen schien. Aber noch mehr als die ungewohnte, bedrohlich wirkende Umgebung erschreckte sie, dass sie an diesem seltsamen Ort manches, was sie mit offenen Augen als besonders intensiv strahlend empfand, sogar mit geschlossenen Augen erkennen konnte.
Das Schlimmste aber war die Tatsache, dass es hier keinen vertrauten Duft, keine Pflanze und kaum ein Tier gab, die sie aus ihrer Heimat kannte. Natürlich hatten die Bäume Zweige und Blätter und die Insekten Beine und Flügel, aber die Ähnlichkeiten waren nicht groß.
»Ich will heim!«, wimmerte sie, wusste aber im gleichen Augenblick, dass dies zumindest jetzt nicht möglich war. Sie musste sich mit den Gegebenheiten abfinden, ganz gleich, wo sie gelandet war. Sie öffnete den Rachen und stieß ein wütendes Fauchen aus. Um sich zu beruhigen, schärfte sie ihre Krallen an dem ungewöhnlich harten Holz, bis sie so makellos glatt und glänzend waren wie schon lange nicht mehr.
Dann kletterte sie ganz vorsichtig und immer wieder witternd und lauschend auf den Boden zurück. Das Moos unter ihren Sohlen war weich und mit kleinen weißen Beeren besetzt. Da ihre Nase nichts fand, was daran schlecht sein konnte, pflückte sie die winzigen Früchte und steckte sie in den Mund. Sie schmeckten angenehm, aber eine große, knackige Waldbirne wäre ihr lieber gewesen. Die stillte wenigstens den Hunger, während die Beeren ihn noch mehr anfachten. Um bei Kräften zu bleiben, musste sie jedoch an Fleisch kommen. Bislang war sie vor dem gleißenden Licht zurückgeschreckt, das sogar das Wild hier ausstrahlte. Doch wenn sie satt werden wollte, würde sie auf die Jagd gehen müssen. Ihre Pupillen verengten sich, und im gleichen Augenblick hatte sie das Gefühl, als würde sich die übertriebene Farbenpracht um sie herum auf ein erträgliches Maß verringern. Kurz darauf entdeckte sie ein Tier, das zu klein war, eine Gefahr darzustellen, aber groß genug, um ihren ärgsten Hunger zu stillen. Es hatte vier Beine wie die Tiere daheim, auch wenn die hinteren länger waren, aber nur einen kurzen Stummelschwanz und zwei lange, bepelzte Ohren. Vor allem aber befand es sich keine zehn Schritte von ihr entfernt und weidete die Moospolster ab.
Mit einem Satz schnellte Laisa darauf zu, packte es mit einer Hand und biss ihm in den Nacken. Ihre Beute erschlaffte, und während Laisa das Fell aufriss, um an das Fleisch des Tieres zu kommen, fragte sie sich, was sie als Nächstes tun sollte. Am besten war es, wenn sie nach eigenen Leuten suchte, notfalls auch nach Menschen, falls es niemanden ihrer Art in diesen Wäldern gab. Sie hob die Nase in den Wind und schnupperte. Doch außer dem Geruch frischen Blutes und den Düften dieses Waldes nahm sie nichts Besonderes wahr. Im Umkreis von mehr als zwei Tagesreisen gab es mit Sicherheit keine Katzenleute und auch keine Menschen, obwohl die Glatthäutigen Groms Berichten zufolge überall sein sollten.
Doch Groms Lehren schienen an diesem Ort nicht mehr viel wert zu sein, und so würde sie wohl ihre eigenen Erfahrungen machen müssen.
Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet und die Überreste unter dem Moos vergraben hatte, stieg sie auf einen anderen Baum, um sich
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