Perlenregen
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Hustenbonbons im Frühling sind totaler Quatsch. Trotzdem besteht mein Chef darauf, dass zwei Sorten der Kräuterdragees auf dem Tresen stehenbleiben. Von mir aus – ist ja nicht meine Apotheke. Trotzdem setze ich einen leicht zickigen Gesichtsausdruck auf, während ich die Bonbons von links nach rechts und wieder zurück drapiere. Soll er ruhig merken, dass mir das nicht gefällt! Außerdem würde ich jetzt viel lieber in die City spazieren und meinen ersten großen Eisbecher in diesem Jahr genießen. Bei dem Wetter wird ohnehin niemand krank. Ich gucke noch biestiger. Manchmal geht mir meine Arbeit einfach nur auf die Nerven, besonders wenn nichts los ist. Kann mein Chef nicht einmal spontan sein, mir eine Flasche des neuen Badezusatzes schenken oder zumindest etwas Nettes sagen? Mal eine kleine Freude bereitet zu bekommen, ist doch nicht zu viel verlangt.
„Machen Sie ruhig Feierabend, Frau Steinchen! Ich vermute, die Leute haben heute keine Lust auf Kranksein“, unterbricht er meine miesen Gedanken. „Oder möchten Sie lieber noch bleiben?“
„Nein, nein, das passt schon“, beeile ich mich zu sagen. „Danke schön! Dann werde ich gleich mal mit meiner Freundin bummeln gehen. Ich stelle noch fix den Anrufbeantworter für heute Nacht um und dann düs ich ab!“
Schnell weg, damit er es sich bloß nicht wieder anders überlegt! Im Personalraum tausche ich mein fliederfarbenes Polo-Shirt mit dem Apothekenlogo auf der Brust gegen meine Klamotten aus und lege ein bisschen Mascara nach. Gut gelaunt spaziere ich zu Fuß in Richtung City und schicke meiner Freundin Kathi eine SMS.
Hi Kathi, Eis essen in zehn Minuten? Hast du Zeit? Nela
Die Antwort kommt sofort:
G eht nicht, komm hier nicht raus. Ich hasse die Neue, muss dir unbedingt erzählen, was die sich wieder geleistet hat! Melde mich heute Abend.
Wie ärgerlich! Was mache ich denn nun? Ganz alleine mag ich mich nicht in die Eisdiele setzen, dafür bin ich viel zu schüchtern. Mein Bruder Nico meint zwar, ich wirke auf andere etwas arrogant, aber was hat der schon für eine Ahnung? Ich und überheblich – in Wirklichkeit überspiele ich nur meine Unsicherheit. Wer wie ich nur 1,64 Meter groß ist und seine Klamotten in der Kinderabteilung kaufen kann, weiß wovon ich spreche. Man übersieht mich, wenn ich mich nicht etwas groß mache. Flache Schuhe trage ich nur zum Sport. Allerdings treibe ich so gut wie nie Sport. Wenn ich ehrlich bin, ist neben der Arbeit meine Hauptbeschäftigung das Shoppen. Das klingt ganz schön oberflächlich, ich weiß. Ich würde auch lieber von interessanten Hobbys wie Gleitschirmfliegen oder Slow Food berichten. Aber was soll ich machen; ich bin einfach süchtig nach Einkaufszentren, Shoppingmeilen und Boutiquen jeder Art. Natürlich kann ich mir nicht immer etwas kaufen; dafür reicht mein Geld nicht aus. Aber schon das Stöbern und Wühlen machen mich glücklich.
Ach, was soll’s. Wenn Kathi keine Zeit hat, gibt es eigentlich keinen Grund dafür, nicht in die neue Ladenpassage namens Shinetime am anderen Ende der Stadt zu fahren. Zwar habe ich Kathi bereits vor Wochen verraten, dass ich dort meinen absoluten Traummann entdeckt habe, doch sie nimmt an, dass ich ihn mir längst aus dem Kopf geschlagen habe. Wie alle anderen Typen zuvor auch, die man mitunter auf Rolltreppen oder an Supermarktkassen vorbeirauschen sieht. Der ist es! denkt man in solchen Fällen und versucht tagelang an exakt derselben Stelle wieder aufzukreuzen und sein Objekt der Begierde zu umgarnen. Doch das klappt nie, zumindest nicht dann, wenn man sich perfekt zurechtgemacht hat und darauf wartet. Monate später und garantiert unvorbereitet trifft man diese Wunschkandidaten erneut, doch der Zauber ist verflogen.
Wie oft Kathi und ich uns schon vorgenommen haben, nicht mehr zu suchen, sondern alles auf uns zukommen zu lassen, kann ich nicht mehr zählen. Es ist fast unmöglich, diesen Vorsatz einzuhalten, denn rund um mich herum sehe ich Verliebte. Mein Chef und seine Frau, Nico und Bella, selbst meine biedere Nachbarin hat einen Partner abbekommen, der weder Neurosen noch nässende Hautkrankheiten aufweist. Ich wollte also mal wieder die Sucherei lassen, aber dann entdeckte ich völlig unerwartet ihn – meinen unbekannten Traummann.
Als ich den hübschen Typen aus dem Schmuckladen vor einem Monat das erste Mal sah, gingen bei mir alle Lichter aus. Das meine ich nicht im übertragenen Sinn, sondern genauso, wie ich es sage. Wie immer, wenn ich
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