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0098 - Ich und die Tote ohne Gesicht

0098 - Ich und die Tote ohne Gesicht

Titel: 0098 - Ich und die Tote ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich und die Tote ohne Gesicht
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Mister High kramte aus den Akten auf seinem Schreibtisch einen Brief und reichte ihn mir.
    »Komische Sache, Jerry«, sagte er. »Sie kennen die Vorschrift, jeder Anzeige nachzugehen. Lesen Sie und nehmen Sie sich die Dame mal vor. Wird wahrscheinlich Unsinn sein, aber wir müssen uns darum kümmern.« Er zuckte die Achseln. Ich setzte mich und las:
    Middleville, 12.09.1956 Orange Heights, Villa Ferret An das FBI Districtbüro New York Sehr geehrte Herren, ich glaube, nicht mehr länger warten zu dürfen. Durch Zufall erfuhr ich Begebenheiten, die, wie ich annehme, in Ihren Tätigkeitsbereich fallen. Ich hoffe, Ihnen in Kürze telefonisch nähere Hinweise geben zu können. Zwischen dem 15. und 25. des Monats wird einiges geschehen. Sollten Sie bis zum 14. von mir nichts gehört haben, so bitte ich darum, dass einer Ihrer Beamten am Nachmittag des gleichen Tages herauskommt. Und zwar um 18 Uhr. Ich werde ihn erwarten und alles, was ich weiß, sagen.
    Ich bitte sie dringend, nicht früher jemanden zu senden oder telefonische Fragen zu stellen, weil ich sonst Gefahr laufe, Verdacht zu erregen. Auch von diesem Brief bitte ich keinesfalls etwas verlauten zu lassen.
    Mit vorzüglicher Hochachtung Jana Harker
    »Nun, Jerry?«, fragte der Chef, als ich den Brief wieder ablegte und aufsah. »Was halten Sie von der Geschichte?«
    »Heute haben wir den 14.«, antwortete ich, »also werde ich erst einmal rausfahren und mich erkundigen, aber es ist anzunehmen, dass diese Jana Harker ihre Gründe hat, wenn sie sich an das FBI wendet. Ist sie verheiratet?«
    »Ich habe bereits telefonisch bei der City-Police nachgefragt, Jerry«, erwiderte Mister High. »Mrs. Harker ist mit einem Rechtsanwalt verheiratet, und das schon seit sechs Jahren. Jetzt passen Sie auf, Jerry: Dieser Robert Harker war bis vor fünf Jahren noch ein unbekannter Winkeladvokat, der froh sein durfte, wenn er am Monatsersten seine Miete bezahlen konnte. Plötzlich wurde er Daueranwalt für Red Marr.«
    Ich spitzte tatsächlich meine Ohren. Red Marr, genannt Donkey-Marr, weil er die verrückte Gewohnheit hatte, seine Morgenritte nicht auf einem Pferd, sondern auf einem Esel zu unternehmen, war für mich kein unbeschriebenes Blatt. Seine Akte war so dick wie die Bibel, aber seit Jahren war er nicht mehr mit den Gesetzen in Konflikt gekommen. Er hatte mächtig viel Dollar gemacht, sie in Rüstungsbetrieben, Aktenpaketen usw. gut angelegt. Er spielte den Wohltäter, war jetzt Witwer und besaß eine Tochter, der sein ganzes Herz gehörte.
    Ich sagte das Mister High.
    Der Chef nickte: »ich weiß, Jerry. Nun aber wieder zu Robert Harker. Der Anwalt, verdient nicht zu knapp an Marr. Er besitzt heute eine Villa in Middleville und eine feudale Stadtwohnung am Madison-Square. Sein Büro befindet sich 100 Eastend-Avenue, 23. Stockwerk. Bestimmt ein kluger Bursche, aber manchmal sind diese Typen so klug, dass sie vor lauter Klugheit am Ende doch mal reinfallen.«
    »Vielleicht spielt der Brief auch eine Sache an, die der alte Gangster und sein Rechtsberater planen…«, meinte ich.
    Mister High zuckte die Achseln. »Möglich«, sagte er, »aber ebenso gut ist es möglich, dass die Dame sich interessant machen will oder ihrem Mann eins auswischen. Vielleicht ist sie eifersüchtig.«
    »Das glaube ich nicht«, gab ich zurück. »Gewiss haben solche Frauen in ihrer Langeweile oft den Kopf voller Flausen, aber im Allgemeinen besitzen sie einen klaren und nüchternen Verstand. Die Männer sind meistens romantischer veranlagt. Wir haben doch schon in unserer Praxis eine Menge Frauen kennengelernt, die viele Gangster, was Kaltschnäuzigkeit und Schlauheit angeht, in den Schatten stellen.«
    Mister High lächelte und stand auf. »Ich muss jetzt zur Funkstelle, Jerry«, sagte er. »Fähren Sie los und sprechen sie mit Mrs. Harker.«
    »In Ordnung«, sagte ich und verließ das Office.
    Da Phil Decker in einer anderen Sache unterwegs war, musste ich mich ohne ihn auf den Weg machen. Ich fuhr mit dem Lift nach unten und setzte mich in meinen Jaguar. Die Geschichte drängte nicht, und so fuhr ich die dreißig Meilen bis Middleville sehr gemächlich. Zuerst ging es über die Washington-Bridge, dann durch Jersey City weiter nach Newark, schließlich durch ein von unbebauten Flächen durchbrochenes Häusermeer bis zu den südlichen Ausläufern der West Orange Mountains.
    Middleville ist ein Städtchen, das auch bald von dem nimmersatten Moloch New York aufgefressen sein wird. Sobald ich den

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