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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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nach meinem Hinschied gegossen und dennoch aus grauer Vorzeit stammend. Als sich meine Augen mehr und mehr an die rötliche Dämmerung der umgitterten Aushöhlung gewöhnt hatten, welche, wie mich’s jetzt dünkte, eher als einem Bergwerk dem Becken eines großen Teiches glich, aus dem man das Wassser abgelassen hatte, gewahrte ich, daß der zerlämperte und verbogene Himmelsglobus aus einem mächtigen Unterbau von Totenschädeln hervorwuchs, ähnlich, doch nur viel größer, wie man sie in den steirischen oder kärntner Alpentälern in den sogenannten Karnern auftürmt. Mein psychologisches Verständnis für die Gegenwart war inzwischen schon so geschärft, daß ich fühlte, mit welchem mythischen Grauen der Anblick dieses Totenschädelfundaments die Zeitgenossen, die das Wort Tod aus ihrem Vokabular gestrichen hatten, zweifellos erfüllen mußte.
    Meine betrachtende Versunkenheit wurde durch die scharfe Stimme unsres Bräutigams durchbrochen, welche sich der tiefen Stille entrang, die trotz der großen Menschenmauer hinter meinem Rücken herrschte.
    »Wo ist der Fremdenführer?« rief Io-Do. »Er ist wieder einmal nicht zur Stelle, obwohl Seigneur eingetroffen ist und man ihn zur Zeit angerufen hat.«
    Wann hat man ihn gerufen? dachte ich, da Fiancé Io-Do doch erst vor wenigen Minuten den Einfall dieses Ausflugs gehabt hat.
    Herrn Io-Solips Stimme flüsterte kalmierend:
    »Du bist zwar Bräutigam, Sohn, und hast das Recht, deine Stimme zu erheben, so oft und so laut du willst. Aber ich würde trotzdem nicht aller Welt zeigen, wie wenig ich mich beherrschen kann …«
    »Wenn der Fremdenführer nicht kommt«, sagte Io-Do trotzig, »so werde ich persönlich den Welthausmeier wecken. Ich bin’s imstande. Es ist mein Recht. Man ist nur einmal Bräutigam.«
    »Da kommt ja schon der Fremdenführer«, seufzte Io-Solip erleichtert, der es nicht leicht zu haben schien mit seinem verzogenen Jungen.
    Und wirklich, als sei er dem Innern der Erde entkrochen, hatte plötzlich ein Mann den gerüstartigen Aufbau bestiegen, der sich vom Grunde des Bergwerks oder Teichbeckens bis ein wenig übers Niveau des Geodroms erhob. Von diesem Mann war weiter nichts zu sagen, als daß er ein Mann war wie alle andern Männer, bartlos, alterlos, faltenlos, jedoch, ebenso wie der Mutarianer daheim, keinen Perückenaufsatz auf dem billardkugelglatten Schädel trug. Ich zähle deshalb in meiner Erinnerung auch den Fremdenführer zu den hohen Staatsbeamten. Inzwischen drängten die Tausende, die den Mittelteil der zentralen Plaza erfüllten, etwas näher an das Gitter heran, obgleich nur ein kleiner Teil hoffen konnte, irgend etwas zu sehn, denn wie die Wohnungen dieser Zeit, so befanden sich auch ihre Denkmäler unter der Erde. Der Fremdenführer räusperte sich lange, hatte aber keinen Lautsprecher vor sich, um seine Stimme zu verstärken. Das einzige relativ technische Werkzeug, das mir in dem astromentalen Zeitalter untergekommen war, blieb das Reisegeduldspiel. Dennoch aber erscholl die Stimme des Fremdenführers so weittragend, ja dröhnend, als würden von ihr die Luftwellen durch einen unbekannten Trick in gesteigerte Schwingung versetzt:
    »Geehrte Ios beiderlei Geschlechts«, begann er seinen Vortrag mit der routinierten Heiserkeit aller Ciceronen, »Sie haben sich heute in beträchtlicher Zahl auf dem Geodrom eingefunden, um das älteste aller Denkmale zu betrachten, welches eine ferne Vorzeit auf Erden zurückgelassen hat, und zwar ein Denkmal, dessen Bedeutung die Wissenschaft nicht erst entdecken muß, sondern das, durch Geschichte und Literatur von jeher dokumentiert, sich an dieser Stelle befindet, seitdem es eine Kontinuität menschlichen Gedächtnisses gibt. Als privilegierter Fremdenführer dieses Zeitalters habe ich hiemit die Ehre, alle Anwesenden herzlichst zu begrüßen, insonderheit aber die lieben Kinderlein unter den Anwesenden, die das erste Mal zu ihrem Nutz und Frommen das Denkmal des Letzten Krieges erblicken …«
    Der Mann auf der Redekanzel, die ähnlich über die Erdoberfläche hervorragte wie seinerzeit ein Arbeitsgerüst beim Tiefbau, machte eine kleine, gewitzigte Pause. Dann fuhr er etwas leiser fort, und seine oratorisch geläufige Heiserkeit deutete schon mehr auf einen Politiker hin als auf einen Cicerone:
    »Darüber hinaus, meine werten Ios, habe ich heute die seltene Ehre, der Fremdenführer des Zeitalters im wahren Wortsinn zu sein und nicht nur ein Denkmalserklärer für Wiß- und Neugierige und

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