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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Phantasie Zuflucht nehmen will. Diese Menschenmenge war ein rhythmisches Sein, ein Rauschen, ein Tanzen, ein Drehn und Wirbeln, ein durcheinanderbewegtes Gewebe, bestickt mit zwitschernd wohllautenden Stimmen, silbernen, mattgoldenen, hellblauen, hellgrünen … Wie aber wuchs erst mein Unbehagen, als jäh die Menge vor mir zurückwich, und ich, verlegen auf meinen Schlittschuhen den Ort tretend, mitten in einer ehrfürchtig ausgesparten Leere mich einsam wesen fand. Natürlich der Wortführer war’s, der den Mund nicht hatte halten können, was ja schließlich auch nicht seines Amtes war. Zuerst hatten die Umstehenden von ihm vernommen, welch eine Erscheinung da in ihre hochgestimmte und hochentwickelte Welt hineingeschneit kam. Die Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer, um eine Metapher zu gebrauchen, die wahrhaftig aus den Anfängen der Menschheit stammt. Mir aber brach abermals der Schweiß aus den Poren, denn alles starrte mich mit neugiergroßen Augen an. Mir blieb nichts andres übrig, als mich an B. H.’s Arm ängstlich anzuhalten.
    »Es ist ein freundliches Volk«, beruhigte mich der Wiedergeborene, »sie werden dich nicht belästigen. Kümmere dich weiter nicht um sie. Lächle ihnen nur fleißig zu, wobei du am besten die Zähne entblößt.«
    Er stützte mich brüderlich, und wir glitten gemeinsam auf den abgegitterten Zirkel zu, der jetzt plötzlich freigegeben war. Bräutigam Io-Do, Herr Io-Solip und die drei Junggesellen schlossen sich uns an; der weite Chor des Volkes folgte in ehrfürchtig neugierigem Abstand. Ich wendete mich um, B. H.’s Rat befolgend, und lächelte der schattenhaften Menschenmauer mit einem forcierten Schauspielerlächeln zu, das mir selbst schlecht schmeckte, wobei ich kurz die Zähne entblößte. Wie schämte ich mich dieses Lächelns. Es schien aber seine Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn die dunkle Menschenmauer antwortete mit einem leisen Sympathiegemurmel. Ich hatte schon lange begriffen, daß man sich in diesem Zeitalter immer und überall angenehm machen mußte, um weiterzukommen. Dieses Kalfaktern verpflichtete weiter zu nichts. Es war grund- und zwecklose Liebenswürdigkeit, gute Manier, freundliche Kultur, es war die unbewußte Abbitte für viele dunkle Weltalter, in denen der Mensch die Zähne nur entblößt hatte, um sie dem Feinde entgegenzufletschen, und auch für andre, spätere, doch nicht minder dunkle Weltalter, wo der photogene Mensch die Zähne nur entblößt hatte, um sich selbst als Ware anzubieten.
    Ich hielt mich nun mit beiden Händen an dem schmiedeeisernen Gitter fest und sah hinab in eine sehr große kreisrunde Aushöhlung, die den Eindruck eines alten, längst aufgelassenen Bergwerks erweckte, von dem die oberste Tagbauschicht intakt geblieben war, während die Stollen in der Tiefe zusammengestürzt oder ersoffen sein mußten. Der Eindruck des Bergwerkes wurde auch noch dadurch betont, daß die Wände der durchaus nicht sehr tiefen Aushöhlung mit schimmernden Mineraladern und glimmenden Kristalldrusen durchwachsen und besteckt zu sein schienen. Trotz meiner schwachen Augen glaubte ich Amethyste, Topase und Bergkristalle unterscheiden zu können. Heute aber, nach meiner Rückkehr, dünkt es mich, als hätte ich nicht nur Halbedelsteine, sondern auch fabelartige Rubine und Saphire aus den Dunkel leuchten sehen. Das hätte aber sehr wenig bedeutet, denn die Menschen jener Gegenwart verehrten weder das Gold, das seinen Wert als Gradmesser verloren hatte, noch auch würden sie den geringsten Unterschied gemacht haben zwischen schönfarbigem Glasfluß und echtem Edelstein. In dieser Hinsicht waren sie wieder so primitiv und unschuldig geworden wie die nackten Eingeborenen einer Südseeinsel, die den billigsten Glastand jedem echten Schmuck vorziehen.
    »Dieses ist das Denkmal des Letzten Krieges«, sagte jemand in meiner Umgebung, und ich bemühte mich, in der weiten Aushöhlung inner- und unterhalb des Gitters irgend etwas zu erblicken, das einem Reiterstandbild oder einer heroisch muskelgeschwellten Gestaltengruppe à la Rodin ähnlich sah. Nichts dergleichen konnte ich entdecken. Endlich blieb mein leider unbewaffnetes Auge an einem ziemlich kugelrunden und rostigen Gerippe hängen, das im Durchmesser ungefähr sechs Fuß zählen mochte. Den Sinn dieser aus verbogenen Metallbändern bestehenden Kugel konnte ich anfangs nicht begreifen, bis mich plötzlich die Eingebung durchschoß, es müsse ein altertümlicher Himmelsglobus sein, lange zwar

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