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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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war. Ja, wenn die Fernsubstanzzertrümmerer nicht wären und die anderen Waffen, auf denen gewissermaßen unsere Häuser gebaut sind …«
    »Sehr richtig«, rief der Fiancé befriedigt.
    »Und dieses Denkmal hier aus gehämmertem Goldmetall, das über den zwanzigtausend wohlerhaltenen Menschenschädeln jenes Letzten Krieges errichtet wurde …«
    Bei Nennung des Wortes »Menschenschädel« begannen viele Kinder zu weinen und zu zetern. Ihre Mütter suchten sie zu beruhigen, indem sie leise auf sie einsprachen oder gar Wiegenlieder sangen. Es war ein schmerzliches Gesumm ringsum. Die große Menschenmenge hielt sich ängstlich von dem umgitterten Kreis des Denkmals fern, als habe niemand mehr die Nerven, den Anblick von Totenschädeln zu ertragen. Wieder einmal hatte einer, und zwar der privilegierte Fremdenführer dieses Zeitalters, das Wort »Tod« vermieden. Was meinte er aber unter der »milden Würde und Freiheit«, die der moderne Mensch »dem Ausgang des Lebens gegeben hatte«? Immer wieder wurde ich vor das wohlbehütete Geheimnis der gegenwärtigen Welt gestellt, und immer tiefer berührte mich dieses Unbekannte. Doch ich mußte schnell mein Gehör dem Vortrag zuwenden, von dem ich bereits einige Sätze versäumt hatte.
    »Es war somit«, schlug die etwas heisere Eloquenz an mein Ohr, »nicht wie bei der uranfänglichen Menschheit die natürliche Reibung der Notdurft, die zum Kriege führte, oder die andersgeartete Götterverehrung, sondern nichts als pure, lächerliche Eitelkeit. Jedermann, und zumal die reifere Schuljugend, die ich hiemit eigens begrüße, weiß aus dem Geschichtsunterricht, daß zur Zeit des Letzten Krieges die beiden bestehenden Nationen der Erde sich nannten: Die Blauen und die Roten. Nun hatten die Blauen sowohl als auch die Roten im Laufe ihrer Geschichte einen strahlenden Namensschatz großer Männer und Frauen angesammelt in allen Reichen menschlichen Strebens, als da sind: Gotteskunde, Weltallsweisheit, Chronosophie, Sternwanderschaft, Verwunderertum, Fremdfühlerei, Dichtung, Wissenschaft der Materie, Wissenschaft des Erkennens, Musik, Bildnerei, Abschilderei, Körpergewandtheit und Spiel, obwohl letzteres, das ist der Wert des zwecklosen Spiels, erst knapp vor unserer Zeit ganz und gar erfaßt wurde. Es gab sohin blaue und rote Genies in Hülle und Fülle. Man nannte sie unsterblich und trieb mit ihrem Namen allerlei Aufwand und großen Pomp zum Ersatz für die Sensationen der Politik, die damals schon langsam hinzudorren begannen. Da machte eines Tages ein blauer oder roter Astronom den Vorschlag, man solle die Namen der Sterne, die sich seit der fernsten Urzeit nicht geändert hatten, umbenennen mit den Namen der größten Gotteskünder, Weltallsweisen, Lebensweisen, Dichter, Gelehrten, Bildner, Sänger, Tänzer, Ballspieler, Billardspieler u.s.w. Von der Seite der andern Nation wurde unverzüglich geantwortet, man sei begeistert von dem Gedanken, das Himmelsgewölbe mit den Namen blauer und roter Genies auszusternen. Ein glanzvoller Kongreß trat zusammen, der mehrere Jahre lang tagte. In den ersten Jahren herrschte die schönste Übereinstimmung unter den Mandataren. Zuerst wurden die großen Genies der Frühzeit, die sich in der Geschichte erhalten hatten, unter die Sterne versetzt, es war eine recht ansehnliche Ziffer, dann folgten die Namen der blauen und roten Meister auf allen Gebieten. Da es aber leider unendlich viel mehr himmlische Sterne gab als menschliche Stars, war man gezwungen, bei der großen Umbenennung des Nachthimmels – die jetzt freilich ganz und gar vergessen ist – bis auf die dritte, vierte und fünfte Besetzung des Ruhms hinunterzugehn. Da zwinkerte ein höllischer Dämon mit den Augen, und wegen eines gleichgültigen Ballspielers oder Coupletsängers, rot oder blau, die Historiker haben’s nie ermittelt, brach der große Zwist aus. Die Blauen, es können aber auch die Roten gewesen sein, verließen bebend vor Zorn und unter lautem Protest den Beratungssaal. Ein Mückenstich hatte genügt, den schlummernden Nationalhaß aufzureizen und das hochgerühmte Zweivölkersystem zu sprengen. Immerhin aber waren der Anlaß des Letzten Krieges, wie man das Duell der zweimal Zehntausend nennt, die Sterne am Himmel, ein Fortschritt, es waren die Sterne am Himmel … die Sterne …«
    Die Worte des Fremdenführers dieses Zeitalters verhallten mir im Ohr. Ich konnte sie nicht mehr verstehen. Es war Nacht geworden, und ich hob den Kopf zum Himmel. Einer

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