Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Diktators während des romantischen Rückschlags lautete. Es war nur der Beginn der großen katholischen Unifikation, von der ich freilich auch keine persönliche Erfahrung mehr habe. Aber in den letzten Jahren meines Lebens wurde es immer klarer, daß die Folgen der Reformation und Renaissance verebbten. Heiltieren und seinen Wichtelmännchen hatte man diese Klärung zu verdanken. Ein Teil der christlichen Sekten ging im sogenannten Kommunismus auf, von dem freilich nichts übriggeblieben war als der Ruhm eines großen nationalen Sieges, ein engmaschiger Zentralbürokratismus, die abergläubische Wissenschaftsverehrung von jüngst zum Alphabet bekehrten Analphabeten und der normale Fortschritt der Planetbewohnerschaft. Der andre Teil der christlichen Sekten jedoch löste sich im Katholizismus auf …«
    Ich konnte mich nicht zurückhalten, ihn zu unterbrechen:
    »Deine interessanten Belehrungen erinnern mich daran, daß ich am letzten Abend, bevor ich einschlief, zu einem Freunde darüber sprach, daß der Zweite Weltkrieg nichts andres sei als die Wiederaufnahme der Gegenreformation, nach einer Pause von zweihundert Jahren, mit vielfach vertauschten Rollen und verwischten Argumenten.«
    »Diese Bemerkung ist ganz richtig, F. W.«, bestätigte der Wiedergeborene. »In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bereitete sich ein zeitweiliger Sieg des gottgebundenen über das gottentbundene Denken vor, was man sehr wohl einen Sieg der Gegenreformation nennen kann.«
    »Ich habe diesen Sieg lange vorher in allen Gliedern gefühlt«, sagte ich.
    »Das weiß ich«, lächelte er. »Schließlich haben wir alle unser Scherflein beigetragen. Die Weltdeutung für Möbelpacker hat ja unsern geistigen Hochmut immer beleidigt. Und bei dir kam noch der ästhetische Hochmut dazu …«
    Ich fühlte unter der Decke meines betäubenden Schlafbedürfnisses eine leuchtende Freude:
    »Also ist es wahr«, schwärmte ich, »der große naturalistische Stumpfsinn und seine Konsequenzen wurden besiegt?«
    »Was sagst du da, F. W.?« schüttelte der Wiedergeborene verächtlich den Kopf. »Solltest du nicht wissen, daß auf Erden nichts Geistiges besiegt werden kann, nicht einmal der Anti-Geist? Beide Prinzipien durchlaufen Zeitalter ihrer Ausdehnung und Zusammenziehung, das ist alles. Und nie ist eine geistige Institution machtvoller, als wenn sie machtlos, und nie machtloser, als wenn sie machtvoll ist. Im übrigen kann nur der kindlichste Schwachsinn annehmen, daß man erst im neunzehnten Jahrhundert naturwissenschaftlich skeptisch zu denken gelernt habe, und daß etwa die hohen Mysterien des Christentums hundert Jahre nach dem Kreuzestod weniger absurd gewesen sind als achtzigtausend Jahre später. Ich habe so vieles gesehn. Einst geriet ich in ein Zeitalter des hochmodernsten Polytheismus; da glaubte man an eine große Anzahl nebeneinander existierender, doch völlig anders gearteter Universa, von dem eines dem andern unbekannt und unbewußt war. Jedes Universum hatte seine Götter. Man glaubte zwar, daß diese Götter Geist seien, daß Geist aber nichts anderes bedeute als die einheitliche, allen Dingen zugrundeliegende Materie im nervösen Vorschöpfungszustand, im Augenblick nämlich, bevor sie in ihren kosmischen Raum einzustrahlen beginne. Die Götter, an welche die Menschen damals glaubten, waren somit körperlich und geistig zugleich, das heißt die materiellen Stern- und Atomwelten stellten nur einen erhöhteren, das heißt herabgekommeneren Dichtigkeitsgrad der jeweiligen göttlichen Existenz vor. Es war die feinste Form des pantheistischen Materialismus, die ich während meiner Wiedergeburten kennengelernt habe. Als ich aber etwas später wieder auftauchte, fand ich mich einer restlos ordinär atheistischen Epoche gegenüber. In der unabsehbaren Kurve des menschlichen Erkenntnislebens hatten Wissenschaft und Technik damals ihren historischen Zenitpunkt erreicht. Sogar die seit Petrus nicht gerissene Reihe der Päpste war für mehrere Generationen unterbrochen. Das heißt, der Papst war wieder zum einfachen römischen Bischof geworden, der einer bettelhaften Sekte von physisch und geistig Armen präsidierte. Die Kirche wurde nicht einmal verfolgt, sie war lächerlich. Doch dies genügte schon, um sie wieder groß zu machen und ein Zeitalter neuer Triumphe einzuleiten. Auch die betörten Juden, die damals endlich ihre mystische Vergangenheit loswerden wollten, verbrannten ihre Thorarollen (die alle historische Kritik

Weitere Kostenlose Bücher