Sternchenhimmel
umfunktioniert hatte) und verließ barfuß das Krankenhaus. Niemand versuchte, sie aufzuhalten. Niemand sagte ein Wort.
Eine weiße Limousine stand mit laufendem Motor vor der Klinik auf einem Behindertenparkplatz, genau wie Lev es ihr angekündigt hatte. Ann stieg hinten ein und ließ das Fenster runter, um das zu bewundern, was von dem Florida-Sonnenaufgang noch übrig war.
»Ich hab ein paar Bagels dabei«, verkündete der Fahrer.
»Die erste gute Nachricht des Tages.«
Er reichte ihr die Tüte nach hinten. »Die haben mir aufgetragen, Sie ins Hotel zurückzubringen.«
Ann DeLusia blinzelte zum immer heller werdenden Himmel empor. »Wohin auch sonst?«
Cheryl Gail Bunterman kam in Orlando zur Welt, als jüngstes und vorwitzigstes von vier Kindern. Mit sechs gewann sie bei einer regionalen Talentshow mit einer lebhaft und falsch gesungenen Version von »Big Yellow Taxi«, einem Lied, das sie von einer der Joni-Mitchell-Platten ihrer Mutter hatte. Als sie älter wurde, verbesserte sich Cheryls Auftritt sehr viel mehr als ihr Gesang. Doch ihre Eltern kompensierten das aggressiv mit einer provokanten Garderobe und Tanzstunden bei einer zierlichen Stripperin, die sie in einem Herrenclub angeworben hatten, dem Central-Florida-Äquivalent zum Pariser Cabaret. Ned und Janet Bunterman waren wild entschlossen, einen Superstar aus ihrem kleinen Liebling zu machen.
Bei ihrem Debüt unter ihrem neuen Showbusiness-Namen sang Cherry Pye erfolgreich für eine kleine Rolle als radschlagendes Cowgirl in einer schlecht durchdachten Nachmittags-Fernsehserie namens Hudson River Roundup vor. Die Serie handelte von einer Gruppe unschuldiger, aber findiger Teenager aus Wyoming, die sich auf einem Schulausflug nach New York verirren und gezwungen sind, ihr Lager in einem U-Bahn-Tunnel in der Bronx aufzuschlagen.
Die ehemalige Cheryl Bunterman hatte nur eine einzige Zeile Text – »Zieht Leine, Cowboys!« –, aber ihre energische Darbietung dieser einen Zeile bezauberte einen Zuschauer namens Maury Lykes, der sich die Serie auf seinen Festplattenrekorder in seinem Penthouse in Key Biscayne heruntergeladen hatte, wo er jedes Jahr drei Monate verbrachte. Maury Lykes war Plattenproduzent, Konzertpromoter und Talentsucher und überwachte auf der Suche nach Neuzugängen geradezu zwanghaft den Nickelodeon Channel. Außerdem hegte er eine kriminelle Zuneigung zu minderjährigen Mädchen.
Cherry Pye unterzog sich einem teuren dreimonatigen Coaching, ehe Maury Lykes sich damit abfand, dass sie die dürftigste Singstimme hatte, die er jemals außerhalb eines Hospizes gehört hatte. Eine bekannte Backup-Sängerin wurde ins Studio geholt, während Cherry selbst losgeschickt wurde, um das nützliche Handwerk des Lip-Synching zu erlernen – stumme Lippenbewegungen zum Playback.
Ihre erste Single »Touch Me Like You Mean It« wurde zusammen mit einem Videopodcast an ihrem fünfzehnten Geburtstag veröffentlicht. Der darauf folgende öffentliche Aufschrei entrüsteter christlicher Gruppierungen sorgte für ein Verkaufshoch, das Cherry Pyes Antrittsnummer bis auf Platz 9 der Billboard -Charts katapultierte. Eine CD mit demselben Titel wurde drei Monate später eilig auf den Markt geworfen und 975 000 Mal verkauft. Sie erwies sich für Jailbait Records als der größte Hit des Jahres, und Maury Lykes belohnte Cherry mit einem Vertrag, der sie schlagartig zur Millionärin machte, sie im Grunde genommen aber auch zu lebenslanger Leibeigenschaft verdonnerte – und es war ein ereignisreiches, wartungsintensives Leben. In letzter Zeit erregten ihre leichtfertigen Eskapaden mehr Aufmerksamkeit als ihre Musik, eine Situation, die Maury Lykes dringend zu bereinigen suchte. Aus verlässlicher Quelle wusste er, dass eines der größeren Boulevardblätter in Erwartung ihres endgültigen Absturzes bereits Cherrys Nachruf verfasst hatte.
»In drei Wochen geht sie auf Tournee«, erinnerte er Janet Bunterman.
»Keine Sorge, Maury. Sie kommt schon wieder auf die Beine.«
Die beiden standen am Fußende des Bettes in einem Privatzimmer im Jackson Memorial Hospital. Cherry lag vor ihnen, schlief tief und fest und schnarchte wie ein Fernfahrer. Man hatte ihr kurzerhand eine Bettpfanne unter das nackte Hinterteil geklemmt, weil das Abführmittel mit geballter Wucht zugeschlagen hatte.
»Sie ist Ihre Tochter, Herrgott noch mal. Nehmen Sie sie an die Kandare«, verlangte Maury Lykes. Er wollte gar nicht daran denken, wie oft er das oder Ähnliches schon zu ihr
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