Sternenfaust - 194 - Der Hüter des Krinoi'i
waren bereits geschlossen, und die Vision konnte seine realen Augen nicht blenden. Auch wenn es sich auf schmerzhafte Weise so anfühlte.
Er verfolgte das Wirbeln des Krinoi’i mit seinem inneren Auge und wartete ab, was sich ihm diesmal offenbaren würde.
Ein Schatten tauchte hinter dem jetzt gleißenden Ball auf und kam näher. Als er in den Strahlenkreis des Krinoi’i geriet, erkannte Corshoan, dass es sich um eine Hand handelte. Sie gehörte jedoch weder einem Tikar’Senn noch dem Mitglied eines anderen, den Tikar’Senn bekannten Volkes. Trotzdem kam sie ihm vertraut vor, auch wenn er auf Anhieb nicht zu sagen wusste, woher er sie zu kennen glaubte. Wahrscheinlich hatte er sie früher schon einmal in einer Vision gesehen, an die er sich wenn überhaupt nur bruchstückhaft erinnern konnte.
Die Hand griff nach dem Krinoi’i, das jetzt aufhörte zu wirbeln und vollkommen reglos schwebte. Das Krinoi’i schien förmlich darauf zu warten, dass die Hand, die etwas Klauenhaftes besaß, sich darum schloss und es annahm.
Corshoan lächelte. Er hatte in der letzten Zeit schon öfter das Krinoi’i in diesem Zustand der Unruhe gesehen. Nach den Überlieferungen der Hüter war das ein Zeichen, dass die Zeit nahte, in der die Aufgabe der Hüter des Krinoi’i erfüllt sein würde.
Wie es aussah, würde dieses Ereignis in seine Zeit als Hüter fallen. Was bedeutete, dass er sich danach eine neue Aufgabe in der Gemeinschaft suchen musste. Nach allem, was die Tikar’Senn wussten, war die Fähigkeit, Visionen zu empfangen, an das Krinoi’i gebunden. War es fort, würde damit wohl auch Corshoans Gabe verschwinden.
Gespannt beobachtete er die sich nähernde Hand und wartete in der Hoffnung, sie gut genug zu erkennen, um einen Hinweis zu erhalten, zu welchem Wesen sie gehörte. Nicht nur aus Neugier. Die Legende, die überliefert wurde, seit das Krinoi’i zu den Tikar’Senn gekommen war, besagte, dass der Auserwählte, der es eines Tages mitnehmen würde, dem Volk der Tikar’Senn eine neue Generation von Hütern brachte, die ganz andere Aufgaben erfüllten als Corshoan und seine Vorgänger.
Corshoan konnte sich bis jetzt nicht vorstellen, was damit gemeint sein könnte. Deshalb hoffte er auf eine Vision, die ihm das Geheimnis offenbaren würde. Und das Aussehen des Auserwählten könnte ihm vielleicht einen Hinweis geben.
Er zuckte zusammen, als ein Flammenmeer die Vision ersetzte und ihn ebenso schmerzhaft blendete wie zuvor das leuchtende Krinoi’i. Er vernahm die Schreie eines kollektiven Schmerzes so laut, dass er das Gefühl hatte, taub zu werden.
Er stöhnte und krümmte sich zusammen, hielt aber der entsetzlichen Vision stand und beobachtete das Geschehen, wie es seine Pflicht als Hüter war. Was er sah, entsetzte ihn. Besonders die Unausweichlichkeit des Geschehens.
Schließlich verspürte er einen Ruck, der durch seinen Körper fuhr, als würde er gegen ein Hindernis prallen.
Allmählich begann er, den Boden unter seinen Füßen wieder zu spüren. Er fühlte die feuchte Luft auf seinem nackten Oberkörper. Ihn fröstelte, doch er verdrängte das Gefühl und öffnete die Augen.
Mit starren Augen blickte er in den Spiegel vor sich.
Auf seiner Haut hatten sich Muster und Linien abgezeichnet, die sich hauptsächlich auf den linken Arm, die Schulter und die linke Gesichtshälfte konzentrierten. Corshoan drehte sich, um seinen Rücken betrachten zu können. Dort hatte sich die Haut nicht verändert.
Sorgfältig betrachtete er die Muster. Stellenweise erinnerten sie an Eponenhaut. Dass sich die Muster auf seiner linken Seite verdichteten, gab ihm einen Teil der Antwort, die er so dringend erhoffte.
Die gezackten Linien auf seiner Wange gefielen ihm dagegen weniger, besonders da sie nahtlos mit seiner Augenbraue verbunden waren. Das war gar nicht gut.
Corshoan wurde von einem Gefühl der Überforderung überschwemmt. Für ein paar Herzschläge nur, aber sie genügten, um sich wieder einmal wertlos zu fühlen. Seit ihm das Amt des Hüters übertragen worden war, hatte er den Tikar’Senn keine einzige gute Botschaft überbringen können. Seine Visionen enthielten nur Düsternis und einige wenige unbedeutende Dinge. Selbst das kommende Wetter, wenn er es voraussah, war selten positiv. Er sah ohnehin nur, was kommen würde, wenn das Volk es lange vor der Zeit erfahren musste, bevor die Wettersensoren es ein paar Tage im Voraus diagnostizierten.
Dadurch, dass er fast nur Negatives verkünden musste, hatte
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