Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
spürte ihre Hitze auf ihren Armen. Wenn sie jetzt nur noch den anderen Gedanken-Stein hätte; wenn sie nur Daniors Schock und den Zweifel zwischen ihnen vertreiben könnte ... Sie berührte Daniors Arm, zufrieden darüber, daß er keine Blasen warf, nicht verbrannt, überhaupt nicht verletzt war. Nicht mehr als sie. »Warum hast du nicht gebrannt? Warum – warum habe ich nicht gebrannt?«
»Barohnas brennen nicht«, sagte Danior. »Aber ich dachte, ich würde brennen. « Er musterte den dunklen Schimmer
seiner heilen Haut, während er vor Erleichterung lachte, und sah auf die Wandfläche, die sie geschaffen hatte. Sie hatte
farbige Streifen und war rauh. An manchen Stellen war sie_ unförmig. »Wenn du das noch einmal machen könntest, wenn wir nach Pan-Vi zurückgekehrt sind ...«
Eine Wand um die Ansiedlung des Größeren Clans schaffen? Um die Männer der Kleinen Clans zurückzuhalten, bis die Clans untereinander zu einer Verständigung gekommen
waren? Bis sie gelernt hatten, in Frieden zu leben? »Ich kann es«, sagte sie und stellte sich dabei die Wand vor, die sie machen würde, groß und strahlend. Eine Wand – so lang; eine
Wand – so groß. Sie musterte die Länge der Wand, die sie bereits geschaffen hatte, und fing auch zu lachen an. Sie hatte mit ihrer Mutter Frieden geschlossen, sie hatte mit sich selbst Frieden gemacht. Jetzt trug sie das Gesicht einer Barohna und konnte bei ihrem Vater bleiben, solange sie wollte. Sie konnte sich all die Zeit, die sie brauchte, nehmen, um
die Lücke der Jahre zu schließen. Sie konnte sich Zeit nehmen, um ihren Vater und sich selbst besser kennenzulernen.
Zeit zu lernen, wie eine Barohna leben mochte, wenn sie sich entschloß, in den Harten Ländern zu bleiben. Zeit. Sie wandte sich Danior zu und wünschte sich, sie könnte ihre Freude ganz mit ihm teilen. Statt dessen konnte sie nur fragen: »Kannst du gehen?«
»Ja«, sagte er und schaute sie lange an, so, als verstünde er ihre Gedanken, auch ohne den Paarungsstein zu berühren, der an seinem Hals hing.
16 Danior
Manchmal, wenn er vergaß ihn abzulegen, trug Danior den Paarungsstein, wenn er zu Bett ging, und trat in Kevas Träume ein. Er bewegte sich durch die sich entfaltende Serie von Bildern, die sie schuf, um sich selbst beizubringen, was es bedeutete, eine Barohna zu sein. Er sah Sonnenlicht in mächtigen Wellen niederstrahlen, die sich brachen, hoch aufwogten und dann in abgegrenzte Kanäle dirigiert wurden; die ganze Wildheit gezähmt und beherrscht. Er beobachtete, wie die Wirklichkeit unter dem Leuchten des Sonnensteines schmolz, und sah, wie Keva sie wieder erschuf, so daß nichts endgültig verloren war. Er umklammerte im Schlaf den Paarungsstein und teilte die Mühe und die Freude mit ihr.
Doch meistens nahm er, bevor er einschlief, den Stein ab; ebenso wie er sich angewöhnt hatte, den Stein zwar tagsüber zu tragen, ihn aber nicht anzufassen. Denn es gab keine Gegenseitigkeit, wenn er den Stein benutzte. Er konnte ihn halten und sich in Kevas Gedanken bewegen. Er konnte sehen, was sie sah; hören, was sie hörte; lernen, was sie lernte. Er konnte dem dichten Geflecht ihrer Gefühle folgen. Und wie er annahm, vermutete sie manchmal, daß er es auch tat.
Doch er konnte nicht mit ihr teilen. Alles, was er während seines Aufenthaltes hier in Pan-Vi hörte und sah, alles, was er lernte, hörte bei ihm auf. Er hatte nur Worte, um es Keva zu vermitteln. Unbeholfene Worte.
Manchmal fragte er sich, was aus dem anderen Paarungsstein geworden sein mochte. Seit dem Morgen, an dem Keva
die Sonne herabgerufen hatte, hatte er Garrids Verstand nicht mehr berührt. Danior wußte nicht, ob er bei den Fon-Delars geblieben war oder ob er zu den Dutzenden von Männern und Frauen gehörte, die sich dem Größeren Clan
verpflichtet hatten, nachdem Keva die Fon-Delars in die Flucht geschlagen hatte. Er wußte nicht, ob Garrid den Stein abgelegt hatte oder ihn verborgen hielt und sich nur noch selten mit ihm beschäftigte.
So war er mit seinen Gedanken allein, und es war Zeit, ins Tal zurückzukehren. Zeit, seine Eltern wissen zu lassen, daß er die erste Erwachsenen-Saison überlebt hatte. Wenn er jetzt fortging, konnte er das Tal noch erreichen, bevor sie zum Winterpalast abreisten.
Wenn er jetzt fortginge ... Doch er drängte den Gedanken zurück, was er tun sollte, wenn er das Tal erreicht hatte. Denn er hatte noch nicht die Worte gefunden, um Keva zu fragen.
Heute abend. Er mußte sie heute
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