Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
hast.«
Tedni sprang auf und kehrte kurz darauf mit seinem Beutel und einem Packen zurück. Danior untersuchte alles und stellte fest, daß Tedni nichts vergessen hatte. Nicht einmal das Messer und die Klinge, von denen er genau wußte, daß sein Vater sie ihm mitgeben wollte.
Als Tedni dann ihr Gespräch vor Jhaviir wiederholte, hatte es eine inhaltliche Veränderung erfahren: Jetzt war von einem Danior die Rede, der Tedni aus einem gesunden Schlaf aufgeweckt und ihn gebeten hatte, ihn auf der langen Reise zu begleiten, und von einem Tedni, der rasch gepackt hatte, weil er sah, daß sein Bruder nicht ohne ihn abreisen wollte. Möglicherweise hatte er in der Eile versehentlich einige Dinge eingepackt, die ihm gar nicht gehörten.
Jhaviir nickte zu seiner Geschichte und sagte nur: »Es ist schon gut, daß du sie eingepackt hast, Erster Sohn. Natürlich möchte ich, daß du sie bei dir hast.« Er wandte sich wieder Danior zu. »Und da ist etwas, das ich dir geben möchte, bevor du gehst. Resha – bring mir die Kiste, die ich dir vorhin gezeigt habe.«
Während sie aufsprang und verschwand, warf Jhaviir einen warnenden Blick auf die jüngeren Kinder, die damit begonnen hatten, sich zu schubsen und herumzubalgen; dann wandte er sich Danior zu. »Ich frage mich, ob Tedni erwartet, daß ich überrascht bin, daß mein Messer, die Klinge und meine besten Stiefel vor zwei Tagen in seinem Packen verschwunden sind. Wenn du es vorziehst, daß er dich nicht begleitet ...«
»Nein, ich bin froh über seine Gesellschaft«, versicherte Danior ihm schnell.
»Gut, er ist begierig darauf, sein Wissen zu erweitern, und du wirst ein guter Führer sein. Nur achte darauf, daß er es nicht zu sehr auf Kosten anderer erweitert. Und jetzt möchte ich dich um etwas bitten: daß du, wenn du das Terlath-Tal erreicht hast, deinem Vater die Nachricht über mich weitergibst.«
»Natürlich«, erwiderte Danior. Nachrichten darüber, wohin Jhaviirs Suche ihn schließlich geführt hatte. Nachrichten über ein Volk, das gelernt hatte, die Wüste zu kultivieren. Nachrichten von den kriegerischen Kleinen Clans, die soeben die ersten und noch unsicheren Schritte in Richtung Frieden machten. Er schaute Keva an, sah auf das Sonnensteinarmband, das an ihrem Arm glühte. Er würde sogar Nachrichten über eine Barohna mitbringen, die in der Wüste lebte; über eine Barohna, deren Vater ein Rauth-Image war. Diese Nachricht barg Hoffnung für seine Schwestern.
»Und du wirst ihm sagen, daß ich es begrüßen würde, wenn er mich besuchte?« sprach Jhaviir weiter. »Wir hatten, als wir jünger waren, nicht viele Möglichkeiten, miteinander vertraut zu werden. Die Helme der Benderzic entnahmen ihm so viele Erinnerungen, daß er damit beschäftigt war, seinen Weg durch die ersten Jahre zu finden. Ich habe es geschafft, meine Erinnerungen wiederzugewinnen, aber sie trieben mich ... trieben mich von den Tälern fort. Jetzt, denke ich, würden wir einander viel zu sagen haben.«
»Ich werde es ihm sagen«, versprach Danior, während er sich fragte, ob sein Vater das Tal verließe, in dem ihn seine Erinnerungen umgaben, um seinen Bruder zu besuchen, der auch ein Teil seiner Erinnerung war. Vielleicht würde er es tun, für eine Saison.
Vielleicht würde er eines Tages gehen müssen, für länger. »Ich werde es ihm sagen«, wiederholte Danior.
Dann erschien Resha mit einer Metallkiste, die verschrammt und zerbeult war und an den Seiten fremde Zeichen trug. Die jüngeren Kinder wurden umgehend still und beugten sich mit leuchtenden Augen vor. Jhaviir hob mahnend die Hand zum Schutz vor dem zu erwartenden Ansturm der Fragen und Wünsche und lüftete den Deckel. »Wähl dir den, der dir am besten gefällt«, sagt er.
Danior holte tief Luft. Die Kiste war voller Singseiden; ein ganzer Regenbogen von ihnen lag dort beisammen: himmelblau, chartreuse, karmesinrot, smaragdgrün, lila.
Und weiß. Zwischen den anderen lag zusammengefaltet eine weiße Seide, wie jene, die er gesehen hatte, als er den Paarungsstein beim Clan-Ruf umklammert hatte. Eine weiße Seide, die – das wußte er – mit einer vertrauten Stimme sprechen würde.
Mit der Stimme seines Vaters. Mit Jhaviirs Stimme.
Mit Birnam Rauths Stimme.
Er zögerte, traf Jhaviirs Blick. All die verführerischen Farben, die hellen Lieder – konnte er es ertragen, statt ihrer die weiße Seide zu tragen und die flehende Stimme zu hören? Konnte er es aushalten, Birnam Rauths Botschaft mit sich herumzutragen,
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