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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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von dem Ort, an dem der Schmerz lebendig war, an dem die Einsamkeit lebendig war, an dem Pflicht, Hoffnung und Vertrauen täglich ums Überleben kämpften.
    Nach einer Weile erkannte sie, daß die blaue Seide der Sithi gemeinsam mit der Sternenseide sang. Daß die Sithi dort mit gebeugtem Kopf stand, die Augen fest geschlossen, und es sah gerade so aus, als sänge sie durch ihre Seide. Reyna fragte sich verwundert, ob die Sithi mittels ihrer Seide mit der Ungesehenen reden konnte. Konnte sie Reynas Anliegen weiterleiten – so, wie sie es verstand?
    Wie hatte sie es verstanden? Die Sithi stand dort mit steif ausgestreckten Händen, die Krallen starrten in die Luft. Ihre Stirn war gefurcht, die Ohren standen bebend aufrecht. Reyna nahm einen zittrigen Atemzug, preßte die Augen fest zusammen und nahm ihren eigenen Gesang wieder auf.
    Allmählich, nach einer Weile, bemerkte sie, daß sich etwas verändert hatte. Es gab Bewegung; ein Rascheln und Huschen. Dann kehrte die Stille wieder. Reyna biß sich auf die Lippe; sie fürchtete sich, die Augen zu öffnen, fürchtete sich vor dem, was die Stille bedeuten konnte; fürchtete sich vor dem Anblick, der sich ihr bieten mochte.
    Schließlich wagte sie doch einen Blick zu tun, es war das härteste Stück Arbeit, die sie je verrichtet hatte, denn all ihre Hoffnung lag in dem ersten, befreienden Anblick.
    Sie sah, was zu sehen sie nicht zu hoffen gewagt hatte, je wieder zu erblicken. Die Leibwächter waren verschwunden. Die Äste waren frei von ihnen. Es war helles Tageslicht, und Juaren sah mit benommenem Blick auf sie hinab.
    Im Moment fühlte sie überhaupt nichts. Es war keine Zeit dafür, keine Zeit, die ganze Heftigkeit ihrer Gefühle sich entfalten zu lassen. Und es war keine Zeit zu zögern. Keine Zeit, darüber nachzudenken, ob die Leibwächter wieder aus ihren Verstecken kämen, wenn sie zu Juaren emporschweben würde, der dort oben hing, das Messer aus seinem Gürtel nähme und mit zitternden Händen die Taue durchschnitte, die ihn fesselten. Sie tat es einfach, ohne etwas zu fühlen, und lachte, während ihr Tränen übers Gesicht flossen.
    »Kannst du deine Kontrollknöpfe bedienen?« fragte sie, als Juaren nur noch an zwei Tauen hing. Er hatte bisher nichts gesagt, sondern sie nur mit Erkennen im Blick angesehen.
    Er nickte vorsichtig, als bezweifelte er, die dazu nötige Kraft zu haben. »Ja.« Es klang eher wie eine Frage als wie eine Erwiderung.
    »Was mußt du tun?« wollte sie wissen und betete innerlich, daß er nicht wie ein vorwitziges Sithijunges von den Stichen der Leibwächter um die Vernunft gebracht worden war; aber er hatte keinen Stich abbekommen. Er war nur in die klebrige Seide eingesponnen worden. Und jetzt hatte Reyna die erhärteten Fäden durchgeschnitten und kräuselte bei ihrem faden Geruch die Nase.
    Eine Weile sah er sie verständnislos an. »Ich kann die Kontrollen des Schwebers betätigen«, sagte er endlich mit übertriebener Betonung. »Ich kann auf die Knöpfe drücken. «
    »Welche Knöpfe mußt du drücken, um zu Boden zu sinken?« erkundigte sie sich.
    Wieder sah es kurz so aus, als verstünde er nicht. »Den ... den Knopf nächst der Handfläche.«
    »Ja.« Erleichtert wischte sich Reyna die Tränen aus den Augen und trennte die letzten Seidentaue durch.
    Als sie auf dem Boden ankamen, waren die Sithis zwischen den Bäumen davongeschlüpft; hatte sie alleingelassen. Allein, wo die Bäume nach Moder rochen, allein, wo sich Lebensseiden verborgen hielten. Allein an einem Ort, der darauf wartete, daß sie verschwanden.
    Sie vertrauten sich ihren Antischwereaggregaten an, um den Weg durch den Wald zurückzulegen. Sie schwebten dicht über dem Boden, und manchmal mußte sie Juaren anleiten, wenn er geistesabwesend oder verwirrt schien. Manchmal vergaß er, wo sie waren, und ließ einfach die Augen zufallen; dann weckte sie ihn auf. Aber bei anderen Gelegenheiten erkannte er sie und redete vernünftig mit ihr.
    Verra war wach, als sie zurückkamen. Sie sah mit rascher Besorgnis hoch und geleitete sie dann gleich zu den Betten. »Schlaft. Ihr braucht Schlaf, beide«, sagte sie. »Ihr könnt mir dann alles später erzählen, ganz gleich, was ihr erlebt habt.« Wohlmeinende Worte. Vernünftige Worte. Nur der tiefe Einschnitt zwischen ihren Brauen ließ erkennen, wie viele Fragen sie zu stellen wünschte.
    Die Reaktion ließ auf sich warten, bis Reyna ihr Aggregat abwarf und in ihr Bettzeug schlüpfte. Da fingen ihre Zähne zu klappern an,

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