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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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mit gewissen Einschränkungen empfinden konnte, vermochte er nicht zu sehen, tasten oder riechen; es sei denn durch ihre Vermittlung. Und diese Lage war so ungewohnt für ihn und auch für sie, daß sie zuweilen schmerzlich war.
    »Sehr gut, mein Großvater«, erwiderte sie und erwiderte seine Ironie mit einer gehörigen Portion ihres eigenen Spottes. »Möchtest du um die Taille oder in Händen getragen werden, wenn du meiner Mutter begegnest?«
    »In Händen, wenn du mich wieder in meine Hüllen stecken kannst, ohne meinen alten grauen Bart zu zerknautschen.«
    »Du weißt, daß wir immer besondere Rücksicht auf deinen Bart nehmen«, sagte sie trocken. »Ebenso wie auf deine müden Glieder. Ein Mann in deinen Jahren ...«
    »Ein Mann in meinen Jahren ...« echote er mit unsichtbarem Lächeln und übertrieben greisenhafter Stimme.
    Es kam Reyna so vor, als kenne sie ihn schon sehr lange. Es kam ihr so vor, als hätte sie ihn schon ihr ganzes Leben lang gekannt. Sie faltete seine Seide behutsam zusammen und legte sie in die Hülle zurück. Dann nahm sie die Hand, die Juaren ihr bot, und gemeinsam betraten sie die Halle.
    Heute morgen waren ungewöhnlich viele Dienstboten in den Korridoren der oberen Etage, die sämtlich emsig mit Putzen und Aufräumen beschäftigt schienen und sorgsam vermieden, Reyna und Juaren allzu neugierig anzustarren. Auch Monitoren und Leute von allen möglichen Gilden und Sparten waren dort. Landarbeiter waren vertreten, Konservenhersteller, Weber und Schreiber. Es gab Schäfer und Köche. Arbeiter im Kinderhort hatten wichtige Botschaften aus dem Nichts gezaubert, die sie unbedingt dem Palast übermitteln mußten, und sämtliche Gehilfen folgten großäugig in ihrem Schlepptau. Alles in allem hatten an diesem Morgen nach Reynas Wiederkehr überraschend viele Menschen Geschäfte in den Palastfluren zu tätigen.
    Natürlich blieb niemand stehen, um sie anzustarren oder auf sie zu weisen. Niemand sprach. Niemand äußerte mehr als ein Lächeln oder ein unaufdringliches Kopfnicken. Reyna erwiderte die sorgsam zurückgehaltenen Begrüßungen, während sie sich auszumalen versuchte, was die Leute untereinander später über die Palasttochter erzählen würden, die so weit gereist war, um ihre Prüfung abzulegen – und noch immer als Palasttochter zurückgekehrt war. Sie vermutete, daß bereits Legenden im Entstehen begriffen waren.
    Diese Legenden mußten sie und Juaren nützen – mit Hilfe ihrer Mutter –, ebenso wie die Legenden, die sie direkt in die Welt zu setzen gedachten. Diese Leute, die so harmlos lächelten, deren Augen nie hinter ihre eigene abgeschirmte Welt geblickt hatten, die nicht einmal den Verdacht hatten, daß sie im Schlaf befangen waren ...
    Aber sie verfolgte diese Gedanken nicht weiter. Denn sie hatten die Treppe hinter sich gelassen und den Thronsaal erreicht. Und dort – ein wenig abseits von den übrigen – stand ihr Vater.
    Reyna ergriff Juarens Arm; vorübergehend nicht fähig, es zu glauben. Sie waren während der dunklen Stunden der Nacht angekommen. Wie war es möglich, daß ihr Vater so schnell aus der Wüste hierher geritten war? Aber es war nicht möglich. Eine Botschaft brauchte Tage, um zu der gläsernen Stadt ihres Onkels zu gelangen. Dennoch war ihr Vater hier; wie durch Zauberei.
    Und offensichtlich schien es ihm wie Zauberei, daß sie hier war. Er starrte sie lange Augenblicke verständnislos an, als mißtraue er seinen eigenen Augen. Dann hoben sich seine Augenbrauen; er lächelte und lief mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
    Er roch, wie er immer gerochen hatte. Er fühlte sich an, wie er sich immer angefühlt hatte. Und sie reichte ihm nicht höher an seine Schulter, als sie immer gereicht hatte. »Wie lange bist du schon hier?« erkundigte sie sich atemlos, als er sie endlich freigab. »Bist du eben angekommen? Hast du gehört ...« Aber was konnte er gehört haben, außer, daß sie auf dem Weg hierher waren? Sie hatten keine darüber hinausgehende Nachrichten abgeschickt.
    »Ich bin schon eine ganze Weile hier; seit der Saison, in der du abgereist bist.«
    Sie sah ihm ungläubig ins Gesicht. »Du bist ...«
    Er zuckte auf eine bestimmte Art mit den Schultern, die sie an Birnam Rauth erinnerte. »Was glaubst du, wie lange ich deine Mutter hier allein lassen konnte? Ganz gleich, was ich zu ihr gesagt habe, als ich ging. Und ganz gleich, was ich mir selbst eingeredet habe. Der Palast ist ein einsamer Ort, wenn die Verwandten einen verlassen haben.

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